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Einmal die Unendlichkeit einer Gerade erleben

Lesezeit: 4 Minuten
Das Bild zeigt einen Schüler mit VR-Brille im Klassenraum.
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Mit Virtual-Reality-Anwendungen eröffnet Dr. Lena Florian kommenden Generationen von Lehrerinnen und Lehrern neue Chancen, um junge Menschen nachhaltig für Mathematik zu begeistern. Grundlage dafür ist ihre Forschungsarbeit.

Dabei schien es für Lena Florian zunächst auf eine vielversprechende Karriere im philologischen Fachbereich hinauszulaufen: Ihr Abitur absolvierte sie – mit den beiden Leistungskursen Latein und Griechisch – an einem altsprachlichen Gymnasium. Für ihr anschließendes Lehramtsstudium entschied sie sich erneut für das Idiom der alten Römer. Auch bei ihrer Promotion 2014 an der Universität Göttingen ging es um Verstehensprozesse von alten Sprachen.

Doch manchmal gibt die zweite Geige letztlich den entscheidenden Ton an: Denn als ihr zweites Studienfach wählte Lena Florian ausgerechnet Mathematik. An der Universität musste sie jedoch schnell feststellen, dass sich die Schulinhalte ihres einstigen Abiturfaches deutlich von denen im Studium unterscheiden. Mithilfe von selbst geschaffenen Mindmaps stellte sie die fachlichen Inhalte von Schule und Universität einander systematisch gegenüber und leitete daraus ihre ganz persönlichen „Verstehensanker“ ab, mit denen sie sich den neuen Lernstoff erschloss. Schritt für Schritt gelang es ihr auf diese Weise, sich in die für sie neuen Themenbereiche wie mathematische Beweisführung oder Zahlentheorie einzuarbeiten.
 

Impulse von finnischen Kollegen

„Der Funken der Begeisterung für die Mathematikdidaktik hat sich bei mir jedoch erst so richtig beim Vermitteln des Lernstoffs im Unterricht während meines Referendariats entzündet“, sagt Lena Florian rückblickend. „In der Schulpraxis habe ich festgestellt, dass Kinder und Jugendliche oft regelrecht Angst vor Mathematik haben und dass vieles zu abstrakt für sie bleibt.“ Das musste doch irgendwie besser funktionieren! Den entscheidenden Impuls gab ihr ein Lehrkräfteaustausch mit finnischen Kollegen, bei dem sie hautnah erleben konnte, dass es durchaus auch anders geht. 

Wie genau, darauf konnte sie selber eine Antwort geben – als Lehrerin an der Voltaireschule in Potsdam. „Ich habe den Kindern und Jugendlichen Mathematik gezielt so anschaulich vermittelt, dass sie in dem Fach einen engen Bezug zu Alltagsproblemen erkennen“, schildert Lena Florian. Zum Beispiel: Wie viele Blätter hat dieser Baum? Wie viele Luftballons passen in unseren Klassenraum? Oder auch: Wie lässt sich unser Klassenzimmer in ein dreidimensionales Koordinatensystem übertragen? Indem sie die Schüler mit solchen handfesten Fragen konfrontierte, schaffte es die junge Lehrerin, die oft tief sitzenden Berührungsängste erfolgreich abzubauen.

Genau dieses Wissen gibt Lena Florian nun an künftige Generationen von Mathematiklehrerinnen und -lehrern weiter. Als abgeordnete Lehrkraft in der Mathematikdidaktik der Universität Potsdam engagiert sie sich für die Verknüpfung von Theorie und Praxis im Lehramtsstudium. Besonders die schulpraktischen Studien mit Bachelor-Studierenden sowie die Praxisseminare mit Master-Studierenden liegen ihr am Herzen. Dabei begleitet sie kleine Gruppen von maximal fünf künftigen Mathematik-Lehrkräften bei ihren ersten Gehversuchen im Schulunterricht. 
 

Ausflug in virtuelle Welten

Darüber hinaus reizt es sie, weiter an didaktischen Möglichkeiten zu arbeiten, um Mathematik für junge Menschen begreifbarer zu machen. „Daher bin ich der Telekom-Stiftung sehr dankbar, dass sie mir durch die Teilnahme am Fellowship Fachdidaktik MINT die Chance gegeben hat, meine Forschungsarbeit fortzusetzen“, bekräftigt Lena Florian. Dieses „Begreifbar machen“ ist durchaus wörtlich zu nehmen. Von der Unendlichkeit einer Gerade bis hin zu den ganz spezifischen Eigenschaften eines Raums oder Gebäudes: Im Rahmen ihres Projekts „Mathematische Handlungen von Schülerinnen und Schüler in virtuellen Welten“ erleichtert sie Kindern und Jugendlichen den Zugang in die mathematische Welt aus Punkten, Geraden und Körpern im dreidimensionalen Raum. Über so genannte Head-mounted Displays – High-Tech-Brillen, die mit Controllern ausgestattet sind und ohne externen Rechner funktionieren – erleben Schüler in einer virtuellen Realität, wie sie beliebige geometrische Objekte kombinieren, anfassen, verändern und im Raum bewegen können. Statt trockene geometrische Formeln zu büffeln, entwickeln die Kinder und Jugendlichen eine echte Raumvorstellung im Mathematikunterricht und ein tiefgreifendes Verständnis von geometrischen Zusammenhängen. 

Im Laufe der kommenden zwei Jahre wird Lena Florian die Potenziale, Grenzen und Risiken dieser Virtual-Reality-basierten Anwendung im Klassenraum weiter erforschen. „Unsere ersten Erfahrungen haben gezeigt: Diese Technik bewirkt, dass sich das virtuell Gesehene und Erlebte äußerst real anfühlt“, erläutert die Forscherin. „Bei aller Begeisterung für die neuen Möglichkeiten müssen wir verantwortungsvoll ausloten, wie wir dieses mächtige Werkzeug am sinnvollsten im Unterricht einsetzen können.“ Zu solchen Fragen tauscht sie sich auch intensiv mit anderen Fellows im Förderprogramm der Stiftung aus, insbesondere mit einer Teilnehmerin, die sich ebenfalls mit der Erforschung der Raumvorstellung und -wahrnehmung beschäftigt. „Trotz der Einschränkungen durch Corona klappt unser Austausch wunderbar über Videotelefonie“, sagt Lena Florian.

Wie sie ihre berufliche Zukunft nach Abschluss ihres Forschungsprojekts plant – ob weiter an der Universität oder vielleicht doch zurück als Lehrerin an der Schule, steht noch nicht fest. Die Erfahrung zeigt: Bei zwei Optionen, die Lena Florian gleichermaßen am Herzen liegen, ist es auch durchaus möglich, dass am Ende die zweite das Rennen macht.