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„Schule sollte mehr an die Lebenswelt der Lernenden anknüpfen“

Lesezeit: 4 Minuten
Portrait Doris Lewalter
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Was motiviert Kinder und Jugendliche zum Lernen? Ein Gespräch mit Doris Lewalter über Autonomieerleben, die Expertise von Schülerinnen und Schülern sowie das Potenzial außerschulischer Lernorte.

Doris Lewalter ist Professorin für Formelles und informelles Lernen an der School of Education der Technischen Universität München. Ihre Forschungsaktivitäten richten sich auch aus einer motivationalen Perspektive auf die Analyse der Bedingungen, Prozesse und Ergebnisse des Lernens und Lehrens in formellen und informellen Settings wie Schule und Hochschule, Museen, Science Center, Schülerlabore und Medien.
 

Frau Professorin Lewalter, Sie erforschen Lernmotivation. Was genau nehmen Sie da in den Blick?

Es gibt ganz verschiedene Qualitäten von Lernmotivation: Sie reichen von extrinsischen Formen, die auf externen Einflüssen wie Lob und Bestrafung beruhen, bis zu einer intrinsischen, also selbstbestimmten und interessenbasierten Motivation. Aus pädagogisch-psychologischer Sicht ist natürlich letztere erstrebenswert, weil sie im Lernprozess selber verankert ist und keiner äußeren Anreize bedarf. Wir haben auch eine breite empirische Evidenz dafür, dass sie ein lernwirksamer Faktor ist, der für höhere Aufmerksamkeit und Persistenz, also Beharrlichkeit, sorgt, aber auch für ein tiefenorientiertes Lernen.
 

Was macht motivierende Lehr-Lern-Situationen aus?

Ein Thema sind zum Beispiel echte Wahlmöglichkeiten, also Mitbestimmung, etwa wenn es um die Inhalte geht oder wie man lernt. Ein anderes Thema sind Struktur und Zieltransparenz: Was lerne ich? Warum lerne ich das? In welchem Zusammenhang steht das? Oder Leistungsrückmeldung: Im Idealfall bekomme ich ein informatives Feedback, das mir sagt, wie es weitergeht, wenn ich bei einer Aufgabe nicht erfolgreich war – Tipps statt gleich die fertige Lösung. So dass ich motiviert bin, mich weiter damit zu beschäftigen. Außerdem sind das soziale Klima und die soziale Akzeptanz ganz wichtig: dass mich die Lehrperson wertschätzt und ich mich in der Gruppe angenommen fühle. Nur dann kann ich mich angstfrei neuen Tätigkeiten widmen.
 

Auch unsere Umfrage zeigt, dass schon geringe Mitbestimmungsmöglichkeiten positive Effekte auf Lernmotivation und -verhalten haben. Das deckt sich also mit Ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen?

Ja, absolut. Selbstbestimmung und Autonomieerleben fördern Motivation ganz wesentlich. Schon in kleinen Dosen. Im Schulunterricht sind wir oft auf der einen Seite des Kontinuums: Da gibt es eher wenig Selbstbestimmung. Und dann ist es klasse, wenn sie mal vorkommt.

Es kann aber unter Umständen auch zu viel Selbstbestimmung geben. Dann fühle ich mich überfordert, weil ich die Freiräume gar nicht nutzen kann. Ich brauche Kompetenz, damit ich Autonomie nutzen kann. Lehrer müssen Freiräume deshalb wohldosiert einsetzen und die Lernenden an sie heranführen. Es gibt auch kein „one size fits all“. Als Lehrkraft muss ich gucken, welchen Hintergrund die einzelnen Lernenden haben: Wieviel Vorwissen haben sie? Kennen sie die Situation? Das muss man immer austarieren. Es ist nicht alles für alle gleich gut und hilfreich.
 

In unserer Befragung geben 85 Prozent der 10- bis 16-Jährigen an, in ihrer Freizeit gern zu lernen. Für die Schule lernt dagegen nur jeder dritte Befragte gern. Wie könnte Schule das ändern?

Die unterschiedliche Lernfreude hängt natürlich eng mit der Freiwilligkeit und der Autonomie zusammen, die ich in der Freizeit habe. Mit ihren Lehrplänen, Zertifizierungspflichten et cetera ist die Schule da einschränkend – und eingeschränkt. Es gibt aber auch Dinge, die sie anders machen kann. Lehrpersonen können etwa – und ich denke, das passiert ein bisschen zu wenig – Bezüge herstellen zu den Interessen der Lernenden. Sie können herausfinden, was die Schülerinnen und Schüler bewegt, an ihre Lebenswelt anknüpfen und deren Interessen und Expertise mit einbinden. Da sollte Schule einen breiteren Blick auf ihre Schülerinnen und Schüler werfen.
 

Sie beschäftigen sich auch intensiv mit der Frage, wie außerschulische Lernorte wie Museen oder Science Center das Lernen und die Motivation von Schülern fördern können. Welche Stärken haben außerschulische Lernorte da?

Außerschulische Lernorte haben Potenziale, die genutzt werden müssen. Sie sind aber überhaupt kein Selbstläufer. Wir arbeiten gerade an einer Metastudie, die ganz klar zeigt, dass die Nutzung außerschulischer Lernorte nur relativ geringe Effekte zum Beispiel auf das Interesse hat. Es müssen eine Menge Faktoren zusammenkommen, damit es funktioniert.

Zu den Potenzialen außerschulischer Lernorte gehört etwa ihr hoher Alltagsbezug und die Möglichkeit direkte Erfahrungen zu machen. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist der Flaschenzug: Wenn Schüler erleben, wie sie damit einen riesigen Stein hochheben können, dann wollen sie plötzlich wissen, wie so ein Flaschenzug funktioniert. Wenn sie das einfach so im Unterricht durchnehmen, ohne praktischen Bezug, dann ist es halt der Flaschenzug. Weiteres Potenzial bieten die anderen Formen der sozialen Interaktion und der Lernprozesse, zum Beispiel durch Experimente. Oder die große Medienvielfalt und die Informationshierarchien – von ganz allgemeinen, leicht verständlichen Museumstexten, die Kompetenzerleben ermöglichen, bis hin zu spezifischen Expertentexten.
 

Wie können Schule und außerschulische Lernorten so zusammenarbeiten, dass Kinder und Jugendliche in ihrem Lernen und ihrer Lernmotivation davon profitieren?

Hier ist die Evidenz relativ gering. Was aber klar ist: Ein einmaliger Besuch ohne Einbettung in den Unterricht ist wenig bis gar nicht effektiv. Die Lehrperson muss sich vor dem Besuch überlegen, wie dieser zum Unterricht passt. Und welche Vorkenntnisse die Schülerinnen und Schüler brauchen, um mit diesem Lernort auch umgehen zu können. Bei der Durchführung selbst ist die Beteiligung der Lehrperson wichtig. Und in der Nachbereitung sollten die Lernenden ihre Erfahrungen in der Schule einbringen können.

Für den außerschulischen Lernort gilt es, Bezüge zum Lehrplan herzustellen. Und einen Austausch mit den Lehrpersonen. Außerschulische Lernorte sollten sich auch überlegen, wie sie in die Schule hineinreichen können. Etwa durch Medien, mit denen die Lernenden in Experimenten Daten produzieren, Fotos machen oder Informationen sammeln, die sie mitnehmen und im Unterricht weiter behandeln können.