Jump to main content

Fake News entlarven lernen

Lesezeit: 6 Minuten
Das Bild zeigt die drei Interviewten im Porträt.
©

Im Stiftungsprojekt Qapito haben Sandra Aßmann, Marc Stadtler (Ruhr-Universität Bochum) und Holger Wormer (Technische Universität Dortmund) Materialien entwickelt, mit denen Lernbegleiter Quellenbewertungskompetenz bei jungen Menschen fördern können.


Das Thema Desinformation im Netz und die Frage, wie man sie entlarvt, sind zunehmend auch Gegenstand im Schulunterricht. Wie können die im Projekt Qapito erarbeiteten Materialien Lehrkräfte hier unterstützen?

Stadtler: In ihrem Alltag ist es für Lehrkräfte oft nicht leicht, die Zeit für die Erstellung eigener Unterrichtssequenzen zu neuen Themen wie Fake News zu finden. Deshalb haben wir aufwändig recherchierte, hochwertige Materialien entwickelt, mit denen – das war uns wichtig – Lehrkräfte sofort loslegen können. Wir erleichtern ihnen den Einstieg in die Nutzung der Materialien, indem wir ihnen ein begleitendes Manual an die Hand geben, das Hintergrundinformationen liefert und die didaktisch-methodische Vorgehensweise erläutert.

Wormer: Wir haben festgestellt, dass das Thema Quellenkompetenz in den Kernlehrplänen zwar verortet ist – auch im naturwissenschaftlichen Unterricht –, die Vermittlung aber im Alltag mangels geeigneter Materialien gerade dort oft hinten runterfällt. Da schließen wir jetzt eine Lücke.

Es gibt ja inzwischen jede Menge Unterrichtseinheiten zum Thema Fake News. Was sind die Alleinstellungsmerkmale der Qapito-Materialien?

Aßmann: Viele Materialien zum Thema sind explizit für den Deutschunterricht oder die Gesellschaftswissenschaften bestimmt. In den Qapito-Materialien geht es hingegen um gesundheitsbezogene Themen, um MINT-Themen, um naturwissenschaftlich-technische Phänomene. Sie können also genauso gut in Mathematik, Physik oder Chemie eingesetzt werden. Und das macht auch Sinn, denn die Kompetenzen, die wir fördern wollen, benötigen die Schülerinnen und Schüler in allen Fächern: Wenn sie Referate erarbeiten oder Facharbeiten schreiben, dann müssen sie mit Informationen umgehen können, recherchieren und die verschiedensten Quellen beurteilen können. Und genau das lernen sie mit unseren Materialien. Das Phänomen Fake News ist dabei sozusagen nur der Ausgangspunkt. Ein wichtiger Vorteil ist außerdem, dass die Materialien nicht nur in der Schule, sondern auch in der außerschulischen Bildungspraxis nutzbar sind. Ich kann sie zum Beispiel einsetzen, wenn ich in einer Stadtbibliothek arbeite und dort diese Kompetenzen fördern will. Oder als pädagogische Fachkraft in der offenen Kinder- und Jugendarbeit.

Wormer: Mir fallen zwei weitere Besonderheiten ein: Erstens haben wir die Rückmeldung bekommen, dass sich unsere Materialien sogar für die Lehrkräftebildung selbst eignen. Denn darin werden ja Techniken und auch ein Wissenschaftsverständnis vermittelt, die in einem normalen Lehramtsstudium vielleicht nicht unbedingt genug Platz haben. Und zweitens gibt es sicher nicht viele Materialien zu dem Thema, die so vielschichtig evaluiert worden sind. Wir in Dortmund gehen dabei nicht nur in Schulklassen, sondern haben auch leitfadengestützte Fokusgruppengespräche mit Journalistinnen und Journalisten geführt. Unser Ziel war es, für die Entwicklung eines ersten Kompetenzmodells zu erfahren, welche Inhalte tatsächlich den professionellen Standards der Informationsbewertung entsprechen, wie sie auch in Redaktionen angewendet werden.

„Beispiel für ein Zitat das ganz toll zu lesen ist.“

Zu welchem Ergebnis sind Sie dabei gekommen?

Wormer: Eine Rückmeldung seitens der professionellen Wissenschaftsjournalisten war zum Beispiel, dass Indikatoren zur Bewertung wissenschaftlicher Arbeiten in bisherigen Materialien kaum vorkommen. Wir werden die Materialien aber auch künftig weiter überarbeiten, denn einige der Themen darin sind in ein paar Jahren vielleicht nicht mehr so aktuell. Zum Beispiel die Stellen, in denen es um das Coronavirus geht.

Stadtler: Wir in Bochum evaluieren ebenfalls mit einem Mix aus qualitativen und quantitativen Methoden. Der sorgt dafür, dass wir etwas über den Kompetenzzuwachs der Schülerinnen und Schüler erfahren, auch verglichen mit Kontrollgruppen, die ein anderes Training erhalten. Generell kann man sagen, dass wir durch die Evaluation tatsächlich eine datenbasierte 360-Grad-Perspektive auf die Materialien bekommen: Wir haben die Rückmeldungen von Schülerinnen und Schülern, von Lehrkräften und von Wissenschaftsjournalisten. Ich kenne, ehrlich gesagt, keine anderen Materialien zu dem Thema, die diese drei Ebenen miteinander kombinieren.

Die Kooperation der beiden Hochschulen im Projekt Qapito erstaunt auf den ersten Blick: An der Ruhr-Universität Bochum beschäftigen Sie sich mit Lehrkräftebildung, an der Technischen Universität Dortmund geht es um die Ausbildung angehender Journalisten. Wie passt das zusammen?

Wormer: Das ist tatsächlich interessant, weil beide Bereiche sich ja manchmal bewusst voneinander abgrenzen. Ich fand aber besonders spannend, dass man hier Fächer mal näher zusammenbringt, die dann auch offen sind, in einem interdisziplinären Kontext voneinander zu lernen.

Aßmann: Ich würde nicht von bewusster Abgrenzung sprechen, eher von einem blinden Fleck. Das gegenseitige Verständnis ist vielleicht nicht immer so ausgeprägt. Dabei sind sich beide Berufe in gewisser Weise ähnlich: Wissenschaftsjournalisten sind Experten im Umgang mit Informationen, die sie für ihr Publikum bewerten und aufbereiten. Das muss die Lehrperson aber auch, denn sie verwendet im Unterricht ja nicht nur das althergebrachte Schulbuch als Quelle, sondern auch Open Educational Resources aus dem Netz. Unterrichtsvorbereitung besteht heute zu einem großen Teil aus Informationsrecherche, gerade wenn tagesaktuelle Themen behandelt werden.
 

Aus einer Allensbach-Befragung wissen wir, dass Quellenkompetenz für Kinder und Jugendliche eigentlich gar kein Thema ist. Sie finden es schlicht nicht wichtig. Haben Sie das in der Pilotierung der Materialien auch erlebt?

Stadtler: Das Problem ist, dass sich Jugendliche hinsichtlich ihrer Kompetenz häufig überschätzen. Deshalb legen wir in den Workshops auch nicht direkt los mit den Techniken der Quellenbewertung. Stattdessen schaffen wir erst mal einen Moment der Irritation, indem wir sie in schneller Folge mit Kurzmeldungen konfrontieren und darüber abstimmen lassen, ob es sich dabei um Fakten oder Fakes handelt. Da merken sie dann erst mal, wie schwierig das ist. Diese Unsicherheit greifen wir auf, um zu fragen: Was brauchen wir denn jetzt überhaupt, um zu einer besseren Einschätzung zu gelangen? Und auf diesem Weg nähern wir uns dann langsam der Erkenntnis, dass hier Quelleninformationen eine wichtige Rolle spielen.
 

An der TU Dortmund wurden kurze Videos mit dem bekannten Fernsehmoderator Ralph Caspers entwickelt. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und welches Ziel haben die Filme?

Wormer: Mit bekannten Wissenschaftsjournalisten arbeiten wir am Institut für Journalistik regelmäßig zusammen. Ralph Caspers ist für Kinder und Jugendliche durch seine Arbeit für die Sendung mit der Maus oder auch „Wissen macht Ah!“ eine Vertrauensperson – und sicher auch für deren Eltern. Das ist bei diesem Thema dann natürlich hilfreich. Mit ihm sind für das Projekt zwei Filme entstanden, die entweder zusammen mit den beiden von uns produzierten Präsentationen und Übungsblättern zum Experten-Check sowie zum Studien-Check (erscheinen in Kürze; Anm. d. Red.) oder auch losgelöst eingesetzt werden können. Im ersten Film geht es um wissenschaftliche Experten in den Medien und die Frage: Wie erkenne ich, wem ich eher trauen kann und bei wem ich lieber vorsichtig sein sollte? Und im zweiten kann ich lernen, wie wissenschaftliche Studien zumindest auf Plausibilität geprüft werden können.

Aßmann: Apropos Eltern – ich finde auch, Ralph Caspers trägt als Identifikationsfigur über die Generationen hinweg. Und an dieser Stelle sind wir wieder bei den Lernbegleiterinnen und Lernbegleitern.
 

Ein gutes Stichwort, denn diese haben Sie in Bochum ab Herbst besonders im Blick…

Stadtler: Genau. Wir werden nach den Sommerferien zusätzlich Webinare für Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter anbieten, alle zwei Monate, jeweils 45 Minuten. Ziel ist es, den Einstieg in die Nutzung der Materialien so einfach und niedrigschwellig wie möglich zu machen. Darüber hinaus starten wir Mitte nächsten Jahres einen MOOC, der es Lehrkräften ermöglicht, ihre eigenen Kompetenzen im Bereich der Quellenbewertung und kritischen Mediennutzung aufzufrischen. Denn das ist ja eine ganz wichtige Voraussetzung, um im Unterricht zu dem Thema arbeiten zu können. In den MOOC werden wir dann auch unsere Erfahrungswerte aus der Pilotierung des Materials mit mittlerweile über 750 Schülerinnen und Schülern einbringen.

Aßmann: Außerdem wollen wir weiterhin Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter an außerschulischen Einrichtungen für das Material gewinnen und mit quantitativen wie qualitativen Methoden evaluieren, wie sie es nutzen. Deshalb finde ich auch diesen MOOC-Gedanken so spannend, weil wir dort Lehrkräfte und außerschulische Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter miteinander ins Gespräch bringen und dadurch Begegnungsräume schaffen können, die es im Alltag nicht immer so gibt.



Die Kursmaterialien „Wie erkenne ich Fake News?“ der Ruhr-Universität Bochum können auf der Qapito-Projektseite kostenlos heruntergeladen werden. Dort sind auch die beiden Filme der Technischen Universität Dortmund mit Ralph Caspers aus den noch folgenden Modulen „Experten-Check“ und „Studien-Check“ verlinkt.