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Beeinflusst

Text: Daniela Albat | Lesezeit: 5 Minuten
Jugendliches Mädchen mit Smartphone in der Hand.
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Sänger, Schauspieler oder Sportler waren gestern: Heute sind Influencer die Stars der jungen Generation. Über eine komplexe Beziehung zwischen Vertrauen und Manipulation.

Wenn Dagi Bee ihre Pflegeroutine vollführt, sich fürs Oktoberfest fertig macht oder ihren Geburtstag feiert, schauen ihr bis zu 6,7 Millionen Follower auf Instagram dabei zu. Ihre Videos auf YouTube sehen regelmäßig fast vier Millionen Abonnenten – darunter viele Kinder und Jugendliche. Die 30-Jährige ist eine der beliebtesten Influencerinnen bei Mädchen, wie eine Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) zeigt. Bei den Jungen steht unter anderem Gronkh hoch im Kurs: Der YouTuber ist für seine Let’s-Play-Videos bekannt, die ihn beim Zocken und Kommentieren von Computerspielen zeigen.

Ob Beautyqueen oder Gamingprofi: Die Idole aus der Social-Media-Welt sind in den Kinderzimmern allgegenwärtig. Schon mit zehn Jahren haben sieben von zehn Kindern einen Lieblingsinfluencer. „Sie sind Vorbilder für viele Kinder, die die Influencer im Extremfall sogar zu ihrem Freundeskreis zählen. Dadurch nehmen sie eine besondere Rolle ein, mit der sie verantwortungsvoll umgehen sollten“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Nadja Enke. Tatsächlich hätten Influencer durchaus positiven Einfluss auf ihre Follower. Sie ermöglichten ein Zugehörigkeitsgefühl, sprächen über wichtige Themen wie Vielfalt und Nachhaltigkeit. Oder sie zeigten politisches Engagement – wie YouTuber Rezo, dessen Video „Die Zerstörung der CDU“ vor der Europawahl 2019 viral ging.

Doch die Influencer verbreiten auch gezielte Werbebotschaften. Im Auftrag von Unternehmen posieren sie in Markenkleidung, benutzen teure Gesichtscremes oder rühren Kuchen oder Proteinpulver an. Etliche vermarkten auch eigene Produkte. Besonders beliebt: Energydrinks und Limonaden. Die süßen Getränke sprechen Kinder natürlich an – ein Dorn im Auge von Verbraucherschutzorganisationen wie Foodwatch. So versteckten sich den Experten zufolge in dem Eistee des YouTubers Julien Bam pro Dose etwa acht Würfel Zucker. Und der Energydrink des Streamers MontanaBlack enthalte circa 160 Milligramm Koffein, das Äquivalent von drei Tassen Kaffee!

An der Werbung für derlei Produkte kämen junge Menschen im Netz kaum vorbei, sagt Nadja Enke. Sie und ihre Kollegen von der Universität Leipzig haben im Auftrag der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) Influencer-Marketing auf Instagram, YouTube, TikTok und der Live-Streaming-Plattform Twitch analysiert – und insgesamt 43 unterschiedliche Werbeformen identifiziert. Die zu erkennen und die Absichten der Stars auch kritisch zu hinterfragen, fordere die Medienkompetenz junger Menschen heraus. „Vor allem wenn sich die Werbung subtil in scheinbaren Alltagsszenen verbirgt“, sagt Enke. Werbung müsse zwar gekennzeichnet werden. Hashtags wie #anzeige würden aber oft versteckt – oder fehlten ganz. Ein weiteres Problem: „Vor allem in der Twitch-Szene findet man vielfach Werbung, die mit dem Community-Ansatz spielt: Ich muss zum Beispiel zeigen, dass ich ein T-Shirt des Influencers gekauft habe, um Zugang zu einem exklusiven Chat zu erhalten“, erklärt Enke. Die Angst, ausgeschlossen zu werden, tauge als starker Kaufanreiz. 
 

Kinder brauchen ein gesundes Misstrauen gegenüber Versprechen.
Lovis Messerschmidt, Influencerin


Rechtlich bewegen sich die Influencer in einer Grauzone. Werbung, die auch Kinder anspricht, unterliegt besonderen Anforderungen. Doch online gestaltet sich die Regulierung schwierig. Hinzu kommt: Offiziell erreichen Influencer einen Teil dieser schutzbedürftigen Gruppe gar nicht. Die Nutzung der Netzwerke ist je nach Plattform nämlich erst ab 13 oder 16 Jahren erlaubt. In der Praxis aber gibt es keine adäquate Überprüfung. „Die Kontrolle liegt also im privaten Umfeld, meist bei den Eltern“, so Enke. Denen rät sie, sich aktiv mit der Medienrealität der Kinder auseinanderzusetzen. „Sprechen Sie darüber, welche Formate es gibt, und sensibilisieren Sie für kritische Situationen.“ Neben Werbung sollten Eltern auch andere Themen ansprechen, die den Kindern begegnen: antiquierte Rollenbilder, Schönheitsideale oder politische Propaganda etwa. Welche Rolle spielt neben dem Elternhaus die Schule? Bisher hängt das laut Nadja Enke stark von der Eigeninitiative einzelner Lehrkräfte ab. In den Lehrplänen und in der Lehrkräfteausbildung werde das Thema vernachlässigt. „Dabei hätte Medienkompetenz ein eigenes Fach verdient“, meint die Kommunikationsexpertin. „Den Umgang mit Informationen und Quellen zu lernen und zu verstehen, welche Akteure da mit welchen Intentionen mitmischen, ist wichtiger denn je.“

Themen wie diese stehen beim Café Netzwerk in München auf der Tagesordnung. Die Kinder- und Jugendeinrichtung bietet regelmäßig Social-Media-Workshops an. Leiter Sait Köse weiß, wo der Schuh drückt: „Im Umgang mit der Technik sind die jungen Leute oftmals viel kompetenter als Erwachsene. Wenn es aber um Privatsphäre oder Datenschutz geht, um Cybermobbing oder Abofallen, dann haben sie Nachholbedarf.“ Sein Geheimnis, um die Zielgruppe wirklich zu erreichen: Social Media nicht nur problematisieren. „Unser Erfolg basiert darauf, dass wir mit den Kindern und Jugendlichen in den Dialog gehen und echtes Interesse zeigen: daran, was sie in Minecraft gebaut haben oder welchen Influencern sie folgen“, sagt er. „Wenn die Kinder sich ernst genommen fühlen, dann öffnen sie sich – und schenken dann nicht nur ihren Lieblingsinfluencern, sondern auch uns Vertrauen.“
 

Das Café Netzwerk München
Beliebter Lernort: Im Café Netzwerk in München (hier: Leiter Sait Köse) finden regelmäßig Socia-Media-Workshops statt (Foto: Robert Haas).


Im Gespräch mit ihren Kindern zu bleiben, ist auch Lovis Messerschmidts Strategie. Die Mutter hat dabei einen Vorteil: Sie kennt die Szene berufsbedingt gut, arbeitet sie doch selbst als Influencerin. Auf ihrem Instagram-Kanal, den sie einst aus Langeweile in der Elternzeit startete, zeigt sie die schönen Dinge des Alltags: Rezepte, Gartenimpressionen, Mode. Von ihren Werbekooperationen mit hochwertigen Marken kann sie seit zwei Jahren leben. Die Produkte wählt sie nach strengen Kriterien aus. Werbung für ungesunde Frühstücksflocken oder Alkohol? Kommt ihr nicht aufs Profil. Kollegen, die „ihre Seele verkaufen“, kritisiert sie hart: „Ich glaube, dass für viele ausschließlich das Geld zählt. Viele trennen sich ab von der Verantwortung gegenüber ihren Followern und haben kein Problem damit, sogar zu lügen, solange die Kohle stimmt.“

Belege für diese These gibt es: 2021 erfand der YouTuber Marvin eine Fake-Creme, die unter anderem Uran und Asbest enthalten sollte – und fand dennoch Influencer, die bereit waren, das Produkt zu bewerben. Einen ähnlichen Coup wiederholte er mit einem angeblichen Art-HouseFilm namens „A Hole“. Influencer ließen sich darauf ein, den Film gegen Bezahlung zu bewerben und so zu tun, als hätten sie ihn bereits gesehen. Ist das nur Geldgier? Oder auch fehlende Professionalität? Der Bundesverband Influencer-Marketing hat inzwischen einen Ethikkodex herausgegeben, um sich des Problems anzunehmen: Er soll eine Art Wertekompass bieten und Richtlinien für verantwortungsvolles Influencer-Marketing etablieren.

Neben den Influencern müssten auch die Plattformen in die Pflicht genommen werden, meint Messerschmidt: „Ich bin für eine konsequente Altersbeschränkung ab 16, die auch wirklich überprüft wird, wie beim Postident-Verfahren. Aber keiner hat Interesse daran.“ Solange das so sei, helfe nur: Kindern gutes Werkzeug mit an die Hand geben. „Vor allem auch ein ethisches Grundgerüst und ein gesundes Misstrauen gegenüber Versprechen“, sagt die Influencerin. „Und dann kann man irgendwann eigentlich nur darauf vertrauen, dass es gutgeht.“ Die Hoffnung ist nicht unbegründet, das bestätigen auch Nadja Enkes Forschungsergebnisse: „Viele Kinder entwickeln einen kompetenten und reflektierten Umgang mit Influencer-Inhalten: durch zunehmende Nutzungserfahrung und die richtige Lernbegleitung.“


Dieser Artikel ist in Ausgabe Nr. 14 unseres Bildungsmagazins sonar zum Thema „Medienkompetenz“ erschienen.