
„Wir brauchen realistische Vorbilder!“
Warum ist es noch immer schwierig, Mädchen für MINT-Berufe zu begeistern? Und wie kann Mentoring helfen, das zu ändern? Ein Gedanken- und Erfahrungsaustausch.
Carolin Liefke (37, Foto links) ist Astro-Physikerin, die 25-jährige Franziska Willems forscht am Fraunhofer-Institut in Darmstadt über Polymerphysik. Die beiden haben sich vor sieben Jahren über die MINT-Plattform CyberMentor kennengelernt. Die Jüngere ging damals noch zur Schule, die Ältere arbeitete damals schon im Haus der Astronomie in Heidelberg. Dort haben sich Mentorin und ehemalige Mentee im November zum ersten Mal persönlich getroffen und miteinander diskutiert. Virtuelle Tandems wie bei CyberMentor sind eine gute Sache, so ihr Resümee. Aber es braucht noch viel mehr, um Mädchen für MINT-Themen – und berufliche Laufbahnen auf diesem Feld – zu begeistern.
LIEFKE: Ich bin der Meinung, dass wir das Interesse an MINT-Themen so früh wie möglich wecken und fördern müssen. Das legen ja auch Studienergebnisse nahe. Demnach sind Mädchen in der Grundschule dafür sogar aufgeschlossener als Jungen. Aber spätestens in der Pubertät nimmt das Interesse von Mädchen schlagartig ab. Alles Technische oder Naturwissenchaftliche wird plötzlich uncool, habe ich den Eindruck. Finde ich sehr schade. Wie hast du das in deiner Schulzeit erlebt, Franzi?
WILLEMS: Leider ganz ähnlich. Als Mädchen, deren Lieblingsfächer Mathe und Physik sind, wird man dann in den Augen der anderen zum Nerd. Das heißt aber nicht, dass sie einem automatisch mehr zutrauen. Bei einem Schulprojekt ging es mal darum, einen Schaltkreis zusammenzulöten. 15 oder 16 war ich damals. Mein Partner bei dieser Aufgabe hat die Geräte an sich gerissen mit den Worten: „Mädchen können das nicht“. Obwohl am Ende meine statt seine Lösung richtig war, wird er seine Meinung vermutlich nicht geändert haben.
LIEFKE: Ein Beispiel von vielen, das zeigt, dass MINT-Förderung nicht nur eine schulische, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe ist. Mein Eindruck ist jedoch, dass wir uns momentan zurück-, statt vorwärtsbewegen, wenn es darum geht, Rollenklischees zu überwinden. Tradierte Frauen- und Männerbilder haben wieder Hochkonjunktur: Jungs spielen mit Lego, Mädchen mit Puppen …
WILLEMS: Wir brauchen realistische Vorbilder. Für mich war das meine Mutter. Wie mein Vater hat sie Informatik studiert. Beide haben mich immer darin bestärkt, mir treu zu bleiben und meinen Interessen zu folgen.
LIEFKE: Richtig, Eltern spielen eine Schlüsselrolle. Anstelle von Geschlechterstereotypen, die ja meistens unbewusst geprägt werden, sollten Mütter und Väter ihren Kindern ganz bewusst vermitteln: Jeder kann jeden Beruf ergreifen. Auch Mentoren, die sich in einem Mentoring-Programm wie CyberMentor engagieren, sollen und wollen ja ein Vorbild sein. Als solches möchte ich möglichst nahbar sein. Deshalb ist es mir wichtig, dass meine Mentees mich nicht nur als Wissenschaftlerin wahrnehmen, sondern als ganzen Mensch mit vielen anderen Interessen. Im Studium habe ich selbst von einem ähnlichen Angebot profitiert. Das möchte ich als Mentorin gern zurückgegeben.
WILLEMS: Als ehemalige Mentee, die inzwischen selbst als Mentorin im Einsatz ist, denke ich genauso. Meine Mutter war damals zufällig über einen Artikel auf dieses Angebot aufmerksam geworden. Insgesamt drei Jahre haben mich Mentorinnen bei CyberMentor auf meinem Weg von der Oberstufe bis ins Studium begleitet. Immer eine Ansprechpartnerin zu haben, fand ich sehr hilfreich, vor allem als es darum ging, mich auf ein Studienfach festzulegen. Meine erste Idee war, mich auf Kernphysik zu spezialisieren. Durch den Austausch mit dir, Caro, ist mir jedoch klar geworden, dass ich mich damit in meinen Möglichkeiten beschneide. Dafür bin ich noch heute dankbar. Tatsächlich habe ich erst während des Studiums entdeckt, dass mich Polymerphysik viel mehr interessiert.
LIEFKE: Du hast es mir damals leicht gemacht – weil du schon relativ genau wusstest, was du wolltest. Bei anderen jungen Mentees, gerade 11-, 12- oder 13-Jährigen, sieht das oft anders aus. Ihre Vorstellungen sind meistens noch sehr diffus. Hier könnte die Schule stärker ansetzen: Statt beispielsweise Physik nur noch medial über Youtube-Filme zu vermitteln, sollten die Lehrkräfte wieder selbst Experimente machen und die Schülerinnen und Schüler dabei aktiv einbeziehen.
WILLEMS: Genau! Deshalb versuche ich regelmäßig, meine Mentees für solche Versuche zu begeistern. Denn selbst zu experimentieren, macht Abstraktes sofort greifbar und interessant. So geht es mir heute übrigens auch mit unserem Treffen, Caro. Sich jetzt mal zu sehen, statt allein online in Kontakt zu sein – echt spannend. Hat mir großen Spaß gemacht.

Dr. Carolin Liefke (37) hat an der Universität Hamburg Physik mit dem Schwerpunkt Astronomie studiert. Für Raumfahrt und Planetensysteme begeistert sie sich schon als 13-Jährige. Seit 2010 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Haus der Astronomie in Heidelberg. Die Aufgaben des Zentrums für astronomische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit sind breit gefächert. Unterrichtsmaterialien zu entwickeln und Lehrende aus- und fortzubilden gehört dazu ebenso, wie Ausstellungen zu planen. Bei CyberMentor engagiert sich die Astrophysikerin seit rund sieben Jahren.
Franziska Willems (25) mochte schon als Jugendliche Mathematik und Physik am liebsten. Bereits als 16-Jährige bewarb sie sich bei CyberMentor. Bevor sie zu Beginn ihres Physikstudiums an der Universität Darmstadt selbst Mentorin wurde, hat sie drei Jahre als Mentee am Online-Programm teilgenommen. Auch als Doktorandin möchte sie ihre Erfahrungen weitergeben und Mädchen und junge Frauen auf ihrem Weg zu einer MINT-Karriere unterstützen.
Autorin: Heike Hucht / Fotos: Martin Leissl