
Wie wichtig sind Kooperationspartner für Stiftungen?
Interview mit Dr. Camelia Crisan, Geschäftsführerin der Progress Foundation.
Die Deutsche Telekom Stiftung weitet ihr internationales Engagement aus und arbeitet ab sofort mit der rumänischen Progress Foundation zusammen. Gemeinsam schaffen die beiden Stiftungen ein niedrigschwelliges Angebot, um Kinder in Rumänien über das Vorlesen für MINT-Themen zu begeistern. Über die Aufgaben und Herausforderungen von Stiftungen, die sich in Rumänien für gute MINT-Bildung einsetzen, haben wir mit Camelia Crisan, der Geschäftsführerin der Progress Foundation gesprochen.
Frau Crisan, was genau ist Aufgabe der Progress Foundation?
Die Progress Foundation nutzt Bibliotheken als Bildungszentren, um von dort aus rumänische Kommunen bei ihrer Weiterentwicklung zu unterstützen. Unser Ziel ist es, das soziale Kapital der Städte und Gemeinden zu erhöhen. Wir tun das, indem wir neueste Forschung und Innovationen nutzen, um kommunale Einrichtungen und Projekte zu stärken oder auch zur beruflichen Fortbildung verschiedener Akteure beizutragen. Dabei spielen lokales Potenzial, lokales Know-how und Traditionen eine wichtige Rolle. Gleichzeitig unterstützen wir Unternehmen und Institutionen dabei, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen.
Vor welchen Herausforderungen stehen Stiftungen in Rumänien?
Es gibt viele Herausforderungen, und die meisten von ihnen ergeben sich beim Aufbau langfristiger Partnerschaften. Das ist meiner Meinung nach nicht nur ein rumänisches Problem, sondern hängt mit der Schnelllebigkeit der heutigen Zeit zusammen. Die meisten Aktivitäten müssen schnell umgesetzt, Ergebnisse unmittelbar sichtbar werden. Das ist aber fast unmöglich, wenn sich eine ganze Kommune auf den Weg macht und sich weiterentwickeln will beziehungsweise soll. Für solche Projekte ist ein nachhaltiges, partnerschaftliches Engagement verschiedener Akteure erforderlich. Es ist jedoch schwer, Geldgeber davon zu überzeugen, sich gemeinsam auf einen längeren Veränderungsprozess einzulassen, um nachhaltige Ergebnisse zu erzielen. Dazu kommt, dass uns derzeit Fördergelder der EU leider nur verzögert erreichen. Viele rumänische Organisationen haben daher Probleme damit, ihre Projekte wie geplant umzusetzen und müssen streng haushalten oder sogar einsparen, um überhaupt weitermachen zu können.
Wie sieht gute MINT-Bildung in Rumänien aus? Was können andere Länder von Rumänien lernen?
Gute MINT-Bildung bedeutet meiner Meinung nach, den richtigen Rahmen für Neugier zu schaffen. Der indische Bildungsforscher Sugata Mitra sagt hier häufig mit Verweis auf den Physiker und Schriftsteller Arthur C. Clark: ‚Wenn Neugier vorhanden ist, geschieht Bildung.‘ Ich glaube, das ist das ultimative Ziel für gute MINT-Bildung: Kindern die richtigen Fragen stellen und ihnen dann zeigen, wie sie selbst die Antworten darauf finden. Nach unseren Erfahrungen ist es außerdem wichtig, dass Kinder bei der Problemlösung zusammenarbeiten. Der Austausch mit Gleichaltrigen ist für ein fundiertes und umfassendes Lernen unerlässlich. Dabei entwickeln Kinder auch Führungsqualitäten, die für das spätere Leben von entscheidender Bedeutung sind.
Nur wer über ausreichende Sprach- und Lesekompetenz verfügt, kann auch Textaufgaben in Mathematik oder Physik lösen. Wie sieht es in Rumänien aus: Werden MINT und Sprache hier schon zusammengedacht?
Die Verbindung von MINT-Inhalten und Sprache ist in Rumänien ziemlich neu, daher freuen wir uns von den Projekterfahrungen in Deutschland und Österreich zu profitieren. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, wenn bereits bewährte Modelle vorhanden sind. Wir sind daher gespannt, wie wir unsere Bibliothekare so schulen können, dass sie MINT und Sprache in ihrer täglichen Praxis erfolgreich miteinander verbinden.
Weltweit findet gerade ein großer Veränderungsprozess statt: Bibliotheken erfinden sich zum Teil neu, sie werden immer digitaler, ihre Angebote gehen weit über das „bloße“ zur Verfügung stellen von Wissen hinaus. Welche Rolle spielen Bibliotheken in Rumänien?
Ich glaube, dass die Bibliotheken in Rumänien dem internationalen Trend folgen. Unsere Bibliotheken bieten mehr und mehr Dienstleistungen an, die auf die Bedürfnisse der Gesellschaft eingehen. Sie bieten weit mehr als nur das Ausleihen von Büchern oder den Umgang mit Computern: In rumänischen Bibliotheken können sich die Bürger unter anderem in Themenfeldern wie „aktive Staatsbürgerschaft“ oder „digitales Geschichtenerzählen“ aus- und fortbilden lassen. Auch Kurse zum Thema „Konfliktmanagement“ stehen interessierten Besuchern offen. Um neue Räumlichkeiten oder Dienstleistungen zu entwickeln, greifen einige rumänische Bibliothekare – wie ihre Kollegen in Westeuropa oder den USA – auch auf Design Thinking-Ansätze zurück. Ich finde die Angebote und Methoden unserer Bibliotheken sehr fortschrittlich. Wenn jetzt noch die öffentlichen Mittel entsprechend wären, wäre die Welt ziemlich rosarot.