
Werkstatt der Zukunft
Die GestaltBar bereitet Hauptschüler auf die digitale Arbeitswelt vor.
Unter den wachsamen Augen von Siebtklässler Wiktor rollt der kleine Roboter aus Legosteinen langsam über die Fliesen. Vor einem Pappkarton macht er plötzlich halt, biegt dann rechts und wieder links ab, um das Hindernis elegant zu umrunden. Der nächste Richtungswechsel aber klappt nicht so gut: Das kleine Gefährt rammt den Karton. Wiktor seufzt und trägt den Roboter davon. Der Schüler der Karl-Simrock-Hauptschule in Bonn hat dem Roboter am Computer seine Fahrtwege beigebracht und jetzt muss er nachbessern. Ein Hauptschüler als Nachwuchsprogrammierer? Das ist hier selbstverständlich – in der GestaltBar, der digitalen Werkstatt. Neben Bonn gibt es das Angebot auch in Köln und Berlin, in Hamburg ist es geplant.
Bei dem Projekt der Deutsche Telekom Stiftung sollen Schüler lernen, kompetent und kreativ mit digitalen Werkzeugen wie dem Computer oder dem Smartphone zu arbeiten. Im Umgang damit sind sie zwar oft fitter als ihre Lehrer, die technischen Hintergründe bleiben ihnen aber meistens verborgen. „Mit meinem Handy mache ich zu Hause viel, mit Robotern kannte ich mich bis jetzt nicht aus. Darüber etwas zu lernen, macht sehr viel Spaß“, sagt Achtklässler Carlos. Die GestaltBar soll die Schüler auch auf das spätere Berufsleben vorbereiten. Wer digital fit ist, der erhöht seine Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Schließlich gibt es kaum noch einen Beruf, in dem Computer und Co. keine wichtige Rolle spielen. „Die GestaltBar richtet sich speziell an Schüler im Hauptschulbildungsgang“, sagt Dr. Ekkehard Winter, Geschäftsführer der Telekom-Stiftung. „Denn für sie gab es bislang kaum entsprechende Angebote.“ Nebenbei verbessern die Schüler ihre Soft Skills. „Sie lernen zum Beispiel, sich zu organisieren oder in Gruppen zusammenzuarbeiten“, so Winter.
Das wird in Bonn gleich an mehreren Stellen deutlich. Hier ist die GestaltBar eine jahrgangsübergreifende Arbeitsgemeinschaft. „Die Schüler sind aus verschiedenen Klassen der Jahrgänge 7 und 8 zusammengewürfelt und müssen sich im Kurs als Team neu zusammenfinden“, sagt Lehrer Erik Lindener-Schmitz. Außerdem steht vor Kursbeginn eine kleine Reise an. Die GestaltBar findet drei Kilometer von der Schule entfernt im „Haus der Jugend“ statt.
„Das ist hier ein ganz anderes Arbeiten, weil die Umgebung außerhalb der Schule für viele zunächst mal angenehmer ist – Leistungsdruck und Anspannung sind weg“, sagt Erik Lindener-Schmitz. Die Telekom-Stiftung setzt bewusst auf die Kooperation mit der Jugendarbeit. „Vielleicht nutzt der eine oder andere Schüler die Angebote des Hauses künftig auch in seiner Freizeit“, sagt Stiftungsgeschäftsführer Winter, "denn digital fit zu sein, ist auch im Alltag unverzichtbar." Medienpädagoge Alexander Hundenborn von der Kölner Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW (fjmk) leitet den Kurs. Neben dem Programmieren von Robotern hat er mit den Bonner Schülern auch ein simples Computerspiel programmiert und kleine Autos mit verschiedenen Antrieben gebaut. In anderen GestaltBars gibt es zudem Einblicke in den 3D-Druck. Alexander Hundenborn vermittelt die technischen Zusammenhänge dabei möglichst anschaulich: „Wenn wir beispielsweise von Sensoren reden, dann vergleiche ich das ganz gerne mit dem menschlichen Körper: mit Augen, Haut, Mund und so weiter.“
Das Konzept geht auf: Erfolgserlebnisse stellen sich meist schneller ein als im normalen Schulunterricht. Wenn die Roboter brav den Nachwuchsprogrammierern gehorchen oder ein Computerprogramm funktioniert, dann ist den Schülern ein gewisser Stolz anzusehen. Wie zum Beispiel den Achtklässlerinnen Sirin und Shekinah, die in Bonn gerade versuchen, ihrem Roboter die nächsten Bewegungen beizubringen. Dafür brauchen die beiden keine Programmiersprache zu erlernen, sondern nur grafische Blöcke zu Stapeln zusammenzuschieben. Shekinah sucht fieberhaft danach. Dann lächelt ihre Partnerin plötzlich und zeigt auf den Bildschirm. Der Baustein ist gefunden, das Programmieren kann weitergehen.
Siebtklässler Wiktor kann es Woche für Woche kaum abwarten, bis wieder Mittwoch ist und die GestaltBar in Bonn startet. Für ihn steht fest: „Als Beruf würde mir etwas mit Computern oder Robotern auch viel Spaß machen.“ Aber bis zum Schulabschluss ist es ja noch ein wenig hin.
Der Artikel ist im Magazin unseres neuen Jahresberichts erschienen. Darin zeigen wir, wie gute MINT-Bildung in einer zunehmend digitalen Welt funktionieren kann.
Foto: Julia Unkel