
Was kommt morgen?
Wie sieht die Bildung der Zukunft aus? Akteure aus Schule, Wirtschaft und Wissenschaft schildern, welche Herausforderungen auf uns warten – und was wir lernen müssen, um sie zu meistern.
Tristan Horx
Zukunftsforscher
„Ich denke, dass Bildung und Wissen künftig zur entscheidenden Kulturfrage verschmelzen. Lernen wird zum Grundstrom der Gesellschaft. Die neuen Parameter: Wissen ist überall, schnell zu haben, weltweit verfügbar – also ein globales demokratisches Gut. Und Schule ist kein Ort und keine Zeit mehr, da bin ich mir sicher. Schule ist die ganze Welt für ein ganzes Leben. Die Wissenskultur wird aus meiner Sicht der künftige Prüfstein für die Zukunftsfähigkeit von Individuen, Unternehmen und ganzen Volkswirtschaften sein. Inhalte denken wir dann nicht mehr interdisziplinär, sondern antidisziplinär. Es wird eine Welt geben, in der Wissen dermaßen integriert und vernetzt ist, dass wir gar keine Disziplinen mehr kennen – und wollen.“
Tristan Horx (25) ist in Wien in der Zukunftsforscher-Familie Horx aufgewachsen. Er betreibt seine Forschung aus Sicht der Jugend und kombiniert dabei Sozial- und Kulturanthropologie mit persönlichen Erfahrungen. Digitalisierung, Lifestyle, Globalisierung und Generationenwandel sind in seinen Vorträgen und Gesprächen mit den Gästen seines Podcasts „Treffpunkt Zukunft“ ebenso Thema wie seine größte Leidenschaft: die Zukunft von Politik und Medien.
Anna Fleck
Schülerin
„Seit meinem ersten Erfolg bei Jugend forscht auf Landesebene vor vier Jahren gibt es an meiner Schule eine Jungforscher-AG. Hier können Schüler experimentieren und sich neue Forschungsprojekte ausdenken. So etwas sollte viel mehr gefördert werden, da es immer wieder die Grenzen zwischen den einzelnen Wissenschaften und Schulfächern aufbricht. Das Interdisziplinäre schult die Kreativität und die Fähigkeit, Probleme zu lösen, um die Ecke zu denken. Ich versuche immer wieder, Parallelen zwischen Philosophie beziehungsweise Musik und Physik oder Mathematik zu finden. Das bringt mich auf neue Ideen. Aber es wäre gut, wenn dieser Ansatz in der Schule der Zukunft viel stärker vorkommen würde. Es ist essenziell, Bildung fächerübergreifend zu denken.“
Anna Fleck (17) gehörte 2018 zusammen mit ihrem Bruder Adrian zu den Bundessiegern bei „Jugend forscht“. Sie entwickelten flexible Protektoren, die Motorradfahrer bei Unfällen schützen und ihnen mehr Bewegungsfreiheit ermöglichen. Anna lebt in Fulda und besucht die zwölfte Klasse eines Gymnasiums. Nach dem Abitur möchte sie Kriminalpsychologie studieren. Oder Literatur. Oder Physik. Oder Philosophie.
Annemieke Frank
Bildungsaktivistin
„In Zukunft kommen neue Herausforderungen auf uns zu wie etwa das Erreichen der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN. Deshalb müssen wir endlich anfangen, Kindern die richtigen Problemlösungsansätze zu vermitteln. Die Kinder, die jetzt eingeschult werden, müssen später in der Lage sein, den Klimawandel weiter aufzuhalten. Und dafür sollten sie lernen, gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Neben Digitalkompetenzen brauchen sie weitere Fähigkeiten. Dazu gehören Kommunikation, Kollaboration, kritisches Denken und Kreativität. Diese sogenannten Future-Skills werden immer wichtiger und sollten in der Zukunft zum normalen Lehrplan gehören. Digitale Tools spielen dabei auch eine Rolle. Wenn Kinder etwa gemeinsam lernen, wie sie einen Roboter programmieren, dann fördert das auch Empathie und ein Verständnis für Teamwork.“
Annemieke Frank (31) besuchte als Diplomatentochter Schulen in Boston, Bonn, Abu Dhabi und Peking. 2017 gründete die Soziologin und Kulturwissenschaftlerin den EduHeroes Club, eine Berliner Bildungsinitiative, die vor allem jüngeren Schülern die Kompetenzen des 21. Jahrhunderts vermittelt.
Julian Weyer
Architekt
„Die Schule der Zukunft wird immer noch ein Gebäude sein, denn angesichts der Digitalisierung werden gemeinsame Aktivitäten in der Bildung eine immer wichtigere Rolle spielen – und dafür braucht es eine physische Verortung. Klassenzimmer werden aufgelöst zugunsten von unterschiedlich großen Homebases, also Bereichen, wo Gruppen von Schülern zusammenkommen. Die Klassenstrukturen sind dabei Teil einer größeren Community, in der Schüler fächerübergreifend und projektorientiert lernen und besonders viel Raum haben für Musik- und Theateraufführungen oder Sport. Denn das Zusammenkommen ist es, was künftig eine gute Schule ausmacht, daran ändert auch der Computer nichts. In der Copenhagen International School haben wir diese kollaborativen und fächerübergreifenden Prinzipien bereits umgesetzt. Die Oberthemen sind hier Globalisierung und Nachhaltigkeit. Das schlägt sich architektonisch nieder in der Solarfassade und mehreren Gewächshäusern auf dem Dach, aber auch im Unterricht, denn an diese Themen können alle naturwissenschaftlichen und humanistischen Fächer andocken und den Unterricht damit relevanter machen. Durch mobile Möbel sind die Räume flexibel nutzbar. Für die Jüngeren gibt es größere Räume, weil sie noch eher gemeinsam im Klassenverband lernen. Für die Älteren gibt es Lerninseln für Gruppenarbeit, ruhige Ecken für konzentriertes Arbeiten alleine und Bereiche für klassische Vorlesungen. Dank der Innenhöfe und Terrassen sowie eines schwimmenden Parks kann der Unterricht auch draußen stattfinden.“
Julian Weyer (49) ist Partner bei C. F. Møller Architects, einem der größten Architekturbüros Dänemarks. Der gebürtige Berliner studierte Architektur in Aarhus und war an der Planung zahlreicher zukunftsweisender Schulgebäude beteiligt, etwa der Copenhagen International School Nordhavn.
Heidrun Stöger
Schulforscherin
„Mit Bildung bereiten wir Menschen auf eine Zukunft vor, die wir nicht kennen. Unser größtes Handicap dabei: einerseits zu viel, andererseits zu wenig Fantasie. Wir sind fantasievoll, was technische Neuerungen betrifft, doch unsere Prognosen stimmen recht selten. Dagegen kalkulieren wir soziokulturellen und Wertewandel kaum ein. Dabei stellen diese die Pädagogik vor ungleich größere Herausforderungen. Denn technologische Neuerungen erweitern in der Regel unsere pädagogischen Handlungsspielräume. Problematisch ist unser erschreckend lückenhaftes Basiswissen. Nach wie vor wissen wir nicht einmal im Ansatz, wie wir es schaffen, dass alle Schülerinnen und Schüler die festgesetzten Lernziele erreichen. Wir müssen daher zunächst die bestehenden Probleme lösen. Wenn wir zum Beispiel Mobbing verstehen, können wir auch bessere Konzepte gegen Online-Mobbing finden. Auf soziokulturellen und Wertewandel bereiten wir uns am besten vor, indem wir Diversität zulassen und als pädagogische Lerngelegenheit begreifen. Das böte die Chance, pädagogische Konzepte zu entwickeln, die nicht nur passgenau für enge gesellschaftliche Kontexte gelten, sondern flexibel einsetzbar sind. Diese Flexibilität wäre zudem enorm hilfreich, um auf sich ändernde technologische Rahmenbedingungen zu reagieren.“
Prof. Dr. Heidrun Stöger (46) hat an der Universität Regensburg den Lehrstuhl für Schulpädagogik (Schulforschung, Schulentwicklung und Evaluation) inne. Außerdem leitet sie das Projekt CyberMentor, das Schülerinnen für MINT-Studiengänge und -Berufe begeistern will. Die Telekom-Stiftung unterstützt das Online-Mentoring-Programm.
Tobias Rau
Lehrer und ehemaliger Fußballprofi
„Ich würde mir mehr Ressourcen wünschen, damit Lehrer wirklich individuell auf ihre Schüler eingehen können. Bei manchmal 30 Schülern pro Klasse ist das im Grunde nicht möglich. Als Lehrer möchte ich aber auch Schüler mitnehmen können, die Schwierigkeiten haben. Im Profifußball habe ich gelernt, auf Körpersprache zu achten, sodass ich Schüler schnell einschätzen kann. Außerdem sollte Inklusion zum Normalfall werden. Wenn es keine Rolle mehr spielt, wo jemand herkommt oder ob ein Schüler eine Behinderung hat, dann wird das unsere Gesellschaft besser machen. Damit das funktioniert, brauchen wir Sonderpädagogen, die den Unterricht begleiten. Ich denke – bei allen Vorteilen, die uns die Digitalisierung bringt –, dass das Zwischenmenschliche am wichtigsten bleibt im Schulalltag. Aber um die bestmögliche Lehrer-Schüler-Beziehung herstellen zu können, müssen die Rahmenbedingungen stimmen.“
Tobias Rau (37) startete mit 17 Jahren eine Profifußballer-Karriere und spielte bei verschiedenen Bundesligavereinen, zuletzt als Abwehrspieler bei Arminia Bielefeld. Zwischen 2001 und 2005 war Rau auch Mitglied der Nationalmannschaft. Von 2009 bis 2015 studierte er Lehramt an der Universität Bielefeld. Inzwischen arbeitet Rau als Sport- und Biologielehrer an der PAB-Gesamtschule in Borgholzhausen.
Marion Weissenberger-Eibl
Innovationsforscherin
„Neue gesellschaftliche Herausforderungen und bislang unbekannte Tätigkeitsfelder werden die Bildungsinhalte der Zukunft bestimmen. Der Umgang mit Robotern wird dazugehören. Digitale Bildung, Medien- und Technikkompetenz sind nur drei Stichworte, die in Schule, Ausbildung und Studium stärker zu verankern sind, um der Arbeits- und Lebenswelt von morgen zu begegnen. Auch das Lernen wird sich verändern. Eine Entkopplung der Lernwelt von den digitalen Medien ist schon heute nicht mehr möglich. Früher mussten Menschen Wissen selbst erlernen und abspeichern. Heute ist unser Wissensschatz digital gespeichert und wir können ihn jederzeit abrufen. Inhalte können online vermittelt werden, so dass Lernende ihr Grundlagenwissen selbstständig erarbeiten. Lehrkräfte können so zu Lernbegleitern werden. Neues wird gemeinsam in Labs, Experimentierräumen und anderen Lehr-Lern-Formaten entwickelt.“
Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl (52) leitet das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe und ist Inhaberin des Lehrstuhls Innovations- und TechnologieManagement am Karlsruher Institut für Technologie. 2011/12 beriet sie Bundeskanzlerin Angela Merkel zur zukünftigen Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland.
Christoph Igel
Bildungsforscher
„Die Bildung der Zukunft wird von hybriden Teams geprägt sein: Das über Jahrhunderte in Unterrichts- und Lern-Prozessen prägende Lehrer-Schüler-Verhältnis wird um eine dritte ,Person‘ ergänzt werden, eine Künstliche Intelligenz. Mit ihren herausragenden kognitiven Fähigkeiten sowie den Möglichkeiten, sich auf die individuelle Bildungssituation einzustellen, optimale Lernwege aufzuzeigen und Empfehlungen über motivierende Inhalte, geeignete Lerngruppen und bestmögliche Lehrende zu geben, werden neuartige, KI-unterstützte Bildungsszenarien entstehen. Zugleich gewinnt das Lehrer-Schüler-Verhältnis wieder mehr an Bedeutung: Entlastungen bei der Beschaffung und Bereitstellung von Informationen und Wissensangeboten durch eine KI ermöglichen eine Intensivierung des Diskurses, der Debatte und der die Reflexion über die Bildung zwischen den beteiligten Menschen. Und der Künstlichen Intelligenz.“
Prof. Dr. Christoph Igel (50) ist Wissenschaftlicher Leiter des Educational Technology Lab des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI). Er ist Principal Researcher, Mitglied des DFKI Lenkungskreises und Leiter des DFKI Standortes Berlin.
ZUKUNFT KREATIV
Die folgende Bildergalerie zeigt Arbeiten von Schülerinnen der Wöhlerschule in Frankfurt am Main, mit der die Telekom-Stiftung seit vielen Jahren kooperiert. Lehrer John-Luke Ingleson hat die Schülerinnen im Rahmen eines Kunstleistungskurses gebeten, sich mit dem Thema Bildung der Zukunft auseinanderzusetzen. Herausgekommen sind ganz persönliche und kreative Einblicke in die Lernwelt von morgen.
Diese und viele weitere spannende Geschichten über die Zukunft der Bildung lesen Sie in der aktuellen Ausgabe unseres Stiftungsmagazins „sonar“.
Protokolliert von: Klaus Rathje
Fotos: Klaus Vyhnalek Fotografie, Jugend forscht, Delia Baum, Henk ten Bouwhuis, Privat, Friso Gentsch/dpa, DFKI, Franz Wamhof