
„Technologie nie ohne Kontext vermitteln“
Medienethikerin Petra Grimm über Schulbildung in der digitalen Welt
Wenn wir unseren Kindern beibringen wollen, wie sie sich sicher im Internet bewegen, müssen wir mit ihnen auch über Ethik und Werte sprechen, sagt Professorin Petra Grimm von der Stuttgarter Hochschule der Medien. Im Interview erklärt sie, warum sich dafür ein eigenes Schulfach am besten eignen würde.
Frau Professor Grimm, Sie leiten in Stuttgart das Institut für Digitale Ethik und engagieren sich im Rahmen des Safer Internet Day. Was hat sicheres Internet mit Ethik zu tun?
Technologie ist nie wertfrei, deshalb sollten auch digitale Kompetenzen nie ohne Kontext vermittelt werden. Wir müssen uns fragen: Warum und wofür wird denn diese Technik eigentlich verwendet? Simples Beispiel: Selber einen Bot zu programmieren – also ein kleines Computerprogramm, das automatisiert eine bestimmte Aufgabe erledigt –, kann ein spannendes Unterrichtsthema sein. Genauso wichtig ist es aber, zu verstehen, was solche Bots heute anrichten können, was es zum Beispiel bedeutet, wenn diese im Vorfeld von Wahlen in den sozialen Medien gezielt Propaganda verbreiten.
Zuletzt waren Fake News, also gezielte Falschmeldungen im Internet, ein großes Thema. Eine Studie der Stanford University hat herausgefunden, dass die große Mehrheit der Jugendlichen im Netz einen seriösen journalistischen Text nicht mehr von einer getarnten Werbebotschaft unterscheiden kann.
Meinungsbildung im Netz und damit auch die Fähigkeit, Falschmeldungen von wahrhaftiger Information zu unterscheiden, ist ein ganz zentraler Punkt bei der Ausbildung von werteorientierter Digitalkompetenz. Deshalb haben meine Studierenden und ich das Thema auch in die 10 Gebote der Digitalen Ethik aufgenommen. Zusammen mit der Telekom-Stiftung und ZEIT für die Schule haben wir außerdem Unterrichtsmaterialien dazu erstellt. Hier gab es in der Vergangenheit einfach zu wenig Informationen und Materialien für Jugendliche, die sie darin befähigten, zu erkennen: Was ist interessengeleitet und was guter Journalismus?
Worum geht es noch, wenn wir von werteorientierten Digitalkompetenzen sprechen?
Einen allgemeingültigen Kompetenz-Kanon gibt es meines Wissens noch nicht. Für mich gehören aber auf jeden Fall der Schutz der Privatsphäre und „Big Data“ zentral dazu. Die Jugendlichen müssen verstehen lernen, dass die Betreiber von sozialen Netzwerken und Kommunikationsdiensten ein ökonomisches Interesse daran haben, die Daten ihrer Nutzer zu sammeln und zu verwerten. Ein zweiter wichtiger Bereich sind die Selbstschutzmöglichkeiten: Wie können sich Kinder und Jugendliche im Netz vor Kostenfallen oder Identitätsdiebstahl schützen? Und der dritte zentrale Punkt betrifft das Miteinander in der Online-Welt, Stichwort Cybermobbing, Stichwort Hassrede. Hier geht es darum, den Jugendlichen eine Kommunikationskultur näherzubringen, die auf Empathie ausgerichtet ist statt auf Verachtung und Bloßstellung.
Bei der Vermittlung digitaler Kompetenzen sehen Sie ganz klar die Schulen in der Pflicht. Wie gut sind diese dafür gerüstet?
Bislang leider nicht besonders gut. Das liegt daran, dass bei vielen Lehrkräften nach wie vor große Ängste im Umgang mit den neuen Technologien bestehen. Noch dazu entwickeln sich die Technologien ja rapide weiter. Wie will man da als Lehrkraft am Ball bleiben, wenn es nicht genügend passende Fortbildungsangebote gibt? Selbst im Lehramtsstudium haben ja nur die wenigsten angehenden Lehrkräfte die Gelegenheit zu reflektieren, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die Gesellschaft und das Individuum hat. Hier müssen die Länder endlich reagieren und die Themen der Digitalen Ethik, wie zum Beispiel „Big Data“, Hassrede, „fake news“ etc., verbindlich in die Lehrpläne für die Schule aufnehmen. Nur dann nämlich, wenn es schwarz auf weiß dort steht, werden auch Lehrerinnen und Lehrer in diesen Themen aus- und fortgebildet.
Die Kultusministerkonferenz hat im Dezember ihre Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ präsentiert, die eine Einbindung des Digitalen in jedes Unterrichtsfach vorsieht. Aus Ihrer Sicht der richtige Schritt?
Natürlich sollen die Lehrkräfte in den einzelnen Fächern mit digitalen Mitteln arbeiten, sofern es der Pädagogik nützt. Ich finde aber, dass es darüber hinaus auch ein eigenes Fach „Ethische Digitalkompetenz“ geben müsste, das sich fokussiert mit allen Haltungsfragen befasst, die sich aus der Nutzung der digitalen Technologien ergeben. Damit könnte ein Reflexionsraum geschaffen werden, in dem erörtert wird, wie ein gutes Leben in einer digitalisierten Gesellschaft möglich ist. Das scheint im Augenblick allerdings sehr schwer durchsetzbar. So werden die Schulen weiterhin darauf vertrauen müssen, dass sich einzelne engagierte Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Unterricht dieses Themas annehmen. Gleichwohl bin ich optimistisch, dass in naher Zukunft die Bedeutung einer ethischen Digitalkompetenz erkannt und diese in den Schulen verankert wird.
Foto: Stuttgarter Hochschule der Medien