
Technik zum Anfassen
TECHNIKBILDUNG – Die Junior-Ingenieur-Akademie der Deutsche Telekom Stiftung hat in den vergangenen Jahren gezeigt: Technikbildung bereichert den Lehrplan und begeistert Schüler für die Arbeitswelt von Forschern und Ingenieuren.
DIE DEUTSCHE TELEKOM STIFTUNG WIRD IN DIESEM JAHR 15 JAHRE ALT. DER BEITRAG ERSCHEINT ANLÄSSLICH DIESES JUBILÄUMS.
Möchte ich Französisch lernen? Oder erfahren, wie globale Märkte funktionieren? Will ich einen Windrotor bauen oder Mikroorganismen untersuchen? In der Mittelstufe können sich Jugendliche für ein zusätzliches Fach entscheiden und damit einen persönlichen Schwerpunkt setzen oder etwas völlig Neues entdecken. Ein Wahlpflichtfach Naturwissenschaften oder Technik, sollte man denken, gehört an jedem Gymnasium und jeder Gesamtschule zum Angebot. Doch die Realität sieht anders aus: Längst nicht jede Schule bietet das an. So war es früher auch am Gymnasium des Städtchens Landsberg in Sachsen-Anhalt. Bis 2015 konnten sich die Schüler dort lediglich zwischen zwei Sprachen und dem Fach Wirtschaft entscheiden. Dass dort inzwischen auch Technik zur Wahl steht, geht auf das Engagement der Telekom-Stiftung zurück, die das Gymnasium vor drei Jahren in das Netzwerk der Junior-Ingenieur-Akademien (JIA) aufnahm.
Die Akademie ist eines der ältesten und erfolgreichsten Programme der Stiftung. Eine enge Kooperation von Schulen, Unternehmen, Hochschulen oder auch wissenschaftlichen Einrichtungen ermöglicht es Jugendlichen, zwei Jahre lang in die Arbeitswelt von Forschern und Ingenieuren hinein zu schnuppern. Dieses Konzept macht die JIA zu einem einzigartigen Programm für die Studien- und Berufsorientierung, aber auch für die Technikbildung, um die es in Deutschland weiterhin nicht zum Besten steht. „Technikbildung ist noch immer ein Flickenteppich“, bemängelt Gabriele Graube, Professorin am Institut für Erziehungswissenschaften der Technischen Universität Braunschweig und bis 2015 Vorsitzende des Fachbeirats „Technische Bildung“ des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). „Das Fach ist sehr vereinzelt und nicht durchgängig in Schulen vorhanden. Jedes Bundesland hat eine andere Lösung. Das ist ein buntes Durcheinander.“ Die JIA sei daher ein großer Gewinn. „Wenn es dieses Programm nicht gäbe, müsste man es erfinden.“
Keine „graue Theorie“
Insgesamt 99 deutsche Schulen hat die Telekom-Stiftung seit 2005 als Partnerschulen für das JIA-Programm ausgewählt. „Wir bekamen 10.000 Euro als Starthilfe und haben von dem Geld verschiedene Geräte gekauft“, erzählt Robert Theuerkorn, Techniklehrer am Gymnasium Landsberg. „Darunter einen 3D-Drucker, ein digitales Mikroskop und eine Schmelzschneidemaschine.“ Bis zu drei Besuche an der Hochschule Köthen und zwei bei Unternehmen in der Region macht der Lehrer mit seinem Kurs pro Halbjahr. Zu den Partnern der Schule zählen neben der Hochschule mehrere mittelständische Firmen, darunter ein Tierfutter-Produzent und ein Spezialist für Fahrzeug- und Motorentechnik. Vor Ort dürfen die Neunt- und Zehntklässler den Ingenieuren und Wissenschaftlern nicht nur über die Schulter blicken, sondern auch selbst Hand anlegen. Die Besuche haben sie zuvor in der Schule ausführlich vorbereitet. „Der MINT-Unterricht steckt zu häufig voll grauer Theorie. So vergeht den Schülern schnell die Lust daran. Die JIA ist dazu das Gegenmodell, denn sie bietet ihnen Technik zum Anfassen. Das begeistert die Jugendlichen und führt in vielen Fällen dazu, dass sie sich anschließend in der Oberstufe für Leistungskurse aus dem MINT-Bereich entscheiden“, sagt Dr. Gerd Hanekamp, Leiter Programme der Telekom-Stiftung. Feste Kooperationsverträge sind ein wichtiger Bestandteil jeder JIA und ermöglichen es, Vor-Ort-Besuche relativ leicht zu organisieren. Auch Sonderprojekte lassen sich leichter realisieren: So darf einer der ehemaligen Landsberger JIA-Schüler für eine Abiturarbeit bei einem Unternehmen forschen, das Motoren testet. „Vieles ist da geheim. Ohne die Kooperation wäre mein Schüler da wohl nicht reingekommen“, vermutet Robert Theuerkorn. Als Lehrer profitiert er aber auch persönlich von der JIA: „Die Workshops und Netzwerktreffen sind klasse. Da kann man sich mit Kollegen austauschen und bekommt neue Ideen für den Unterricht.“
Ein Projekt, das wirkt
Im November 2017 erhielt die Junior-Ingenieur-Akademie das „Wirkt!“-Siegel, mit dem das Analyse- und Beratungshaus Phineo wirkungsvolles gesellschaftliches Engagement auszeichnet. 2016 hat die Telekom-Stiftung damit begonnen, das Programm auszuweiten. Sie fördert nun auch das Engagement von Netzwerkschulen, Partnerschaften mit Schulen in ausgewählten Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas aufzubauen und gemeinsam Technikprojekte zu veranstalten. Insgesamt 13 internationale Schulpartnerschaften gibt es bereits. „Wir haben uns entschieden, uns international zu vernetzen, weil wir über die Grenzen Deutschlands hinaus zu guter Technikbildung ins Gespräch kommen wollen“, sagt Sandra Heidemann, JIA-Projektleiterin bei Stiftung. Das langfristige Ziel: Auch Schulen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa sollen Jugendliche künftig für MINT-Themen begeistern.
WUSSTEN SIE SCHON?
- 1.087.760 Studierende waren im Wintersemester 2017/18 in einem MINT-Studienfach eingeschrieben, davon 330.347 Frauen
- Ende Oktober 2018 waren 496.200 MINT-Stellen unbesetzt – die Fachkräftelücke wuchs im Vergleich zum Vorjahresmonat um 5,9 Prozent
- 468 Berufe umfasst das Berufsaggregat „MINT-Berufe“ der Arbeitsagentur der Arbeit auf Basis der Klassifkation der Berufe 2010
- 15,2 Prozent der Beschäftigten im MINT-Bereich sind Frauen, bei Betrachtung aller Berufsgruppen sind es 46 Prozent.
- Im Studienjahr 2017 haben sich in den MINT-Studiengängen insgesamt 878.163 Studienanfängerinnen und Studienanfänger für ein Studium im 1. Fachsemester in Deutschland eingeschrieben – 10.691 mehr als 2016 und 335.927 mehr als noch 2008
- 314 Schulen in Deutschland gehören zum nationalen Excellence-Schulnetzwerk für den MINT-Bereich (MINT-EC)
- 2016 waren 11,5 Prozent der Auszubildenden in den MINT-Berufen weiblich, zehn Jahre zuvor waren es erst 8,9 Prozent.
Quellen: Bundesagentur für Arbeit, Bundesinstituts für Berufsbildung, Institut der Deutschen Wirtschaft, MINT-EC, Statistisches Bundesamt
Autorin: Fenja Mens / Foto: Wolfram Scheible