
Technik geht nicht ohne Anfassen
In Leipzig lernen begabte Mittelstufenschüler, was Technik bedeutet – von traditionellen Arbeitsverfahren bis zur digitalisierten Hochtechnologie.
Technik kann vieles bedeuten: Da ist zunächst die ursprüngliche Bedeutung des griechische Wortes für Kunstfertigkeit und Handwerk. Es können auch die Ingenieurwissenschaften gemeint sein und schließlich die heutigen digitalen Technologien. Für Sven Hansen ist Technik ein bisschen von allem. Deswegen plädiert er auch dafür, Technik im Unterricht in einer Mischung aus traditionellen und digitalen Methoden zu vermitteln. Hansen ist Fachleiter für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich am Werner-Heisenberg-Gymnasium (WHG) in Leipzig und damit für die Entwicklung der MINT-Fächer verantwortlich. Am Beispiel einer Leuchtdiode (LED) beschreibt er, was er meint: Um physikalische Effekte wie Widerstand, Spannung und Stromstärke zu erfassen, verwendet die Schule – wie im Arbeitsleben üblich – moderne computerisierte Messtechniken und setzt nicht mehr auf den analogen Ausschlag einer Nadel. „Aber den Aufbau einer LED versteht man am besten, wenn man sie nicht nur theoretisch betrachtet, sondern selber in einen Schaltkreis integriert und dort Messungen vornimmt“, sagt Hansen, denn er ist überzeugt: „Es ist viel lehrreicher, wenn man nicht nur eine fertige Lampe bzw. ein geschlossenes Gehäuse in der eigenen Hand hält, sondern den Aufbau selbst durchführt, Fehler unmittelbar erlebt und korrigiert.“
Digitale Medien sind in seinem Unterricht wertvolle Hilfsmittel, aber sie müssen richtig eingesetzt werden. Sein Credo: „Lehrvideos selber zu machen, ist viel besser, als sich nur welche anzuschauen“. Mit seinen Schülerinnen und Schülern hat er einen Animationsfilm zu Sortieralgorithmen gemacht und schwärmt: „Das bringt was – pädagogisch und fachlich.“
Neue Reize für alle
Moderne Computermesstechnik an einem normalen Gymnasium? Nicht ganz. Das Leipziger Gymnasium hat gemeinsam mit zwei anderen Leipziger Schulen im Wettbewerb zur „Junior-Ingenieur- Akademie“ (JIA) der Deutsche Telekom Stiftung 2012 Projektmittel gewonnen und das Projekt nach den zwei Jahren Förderung fortgesetzt. Das JIA-Prinzip: Schüler lernen in der Mittelstufe Technikthemen auch an Hochschulen und in Unternehmen kennen – für Hansen ein sehr geeignetes Modell modernen Technikunterrichts: „Die Zusammenarbeit zwischen Schule, Hochschule und Unternehmen setzt entscheidende neue Reize für alle Beteiligten, vor allem aber die Schülerinnen und Schüler.“
Gerade im gymnasialen Bereich sei das Arbeiten mit den Händen wichtig. Bei den Praxispartnern sehen die Schülerinnen und Schüler dann die Umsetzung, und an der Hochschule erhalten sie eine zusätzliche theoretische Fundierung. An den Schnittstellen der beteiligten Ausbildungsorte sieht Hansen im derzeitigen System Defizite. Als Lehrkraft sollte man wissen, was an der Hochschule oder in den Unternehmen läuft, aber auch umgekehrt wäre ein größeres Engagement zu begrüßen: „Hochschuldozenten sollten einmal in den Schulen vorbeischauen, denn dann würden sie sehen, dass es nicht mehr wie vor 30 Jahren läuft.“ Und auch die Unternehmen sollten sich stärker einbringen, wenn sie künftig passenderes Personal haben wollen. Als Lehrkraft, findet Hansen, solle man sicherlich eine freundlich-kritische Distanz zur Wirtschaft pflegen, aber ein Austausch sei auf jeden Fall sehr hilfreich. Damit werde den Kindern und Jugendlichen nicht nur ein besseres Technikverständnis vermittelt – auch die Berührung mit der Praxis sei außerordentlich motivierend. „Und genau das begünstigt die JIA-Idee“, sagt Hansen.
Prestigeprojekt mit Strahlkraft
Nach sechs Jahren als JIA-Schule zahlt sich das Projekt nicht nur für die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler des Wahlpflichtfachs aus. Die gesamte Schule profitiert davon, und auch die beteiligten Partner ziehen ihren Nutzen aus der Zusammenarbeit: Die meisten JIA-Absolventen sind dem Thema nach der Projektphase treu geblieben, und die ersten Abiturienten haben ein Informatik- oder Maschinenbau-Studium gewählt. Dabei haben sie die Fachhochschule oder auch den dualen Ausbildungsweg bevorzugt. Die beteiligte Hochschule weiß nun besser, was ihre zukünftigen Studierenden aus ihren Schulen mitbringen. Die beteiligten Firmen haben den Vorteil, dass sie bereits geeignete junge Leute kennen und ihnen ein Angebot machen können, statt warten zu müssen, wer sich bei ihnen bewirbt.
Für die Schule ist die JIA ein Prestigeprojekt mit Strahlkraft nach außen und innen geworden. Mehr Eltern aus der Region interessieren sich jetzt für das Heisenberg-Gymnasium. Und bei der Profilwahl in Klasse 7 ist der Anteil der Jugendlichen, die sich für den Bereich Naturwissenschaften entschieden haben, so hoch wie nie zuvor. Damit hat JIA neben der erfolgreichen Förderung der technischen Allgemeinbildung eine bemerkenswerte Wirkung auf die MINT-Bildung an der Schule insgesamt entfaltet.
DIE JUNIOR-INGENIEUR-AKADEMIE: TECHNIK ZUM ANFASSEN
Im Schuljahr 2017/2018 hat das Werner-Heisenberg-Gymnasium in Leipzig bereits den sechsten JIA-Jahrgang begrüßt – und wird zugleich den zweiten Abiturjahrgang mit JIA-Absolventen verabschieden. Gemeinsam mit zwei weiteren Leipziger Schulen, der Hochschule für Telekommunikation und den Firmen T-Systems und Porsche wurde ein einmaliger Verbund geschaffen, in dem technikinteressierte Schülerinnen und Schüler zwei Jahre lang auf hohem Niveau vier Technik-Gebiete kennenlernen können: Gestartet wird mit Kfz-Technik und der Montage von Motoren, weiter geht´s mit Telekommunikation und Informationsübertragung, es folgen digitale Kommunikationsnetze und Algorithmen, und am Ende stehen Sensoren und die Roboterprogrammierung.
Foto: JIA Leipzig