Jump to main content
Porträt von Armin Weinberger

Pädagogen und Informatiker gehen gemeinsam neue Wege

Interview mit Armin Weinberger, der an der Universität Saarbrücken angehenden Lehrkräften beibringt, wie sie digitale Lernumgebungen schaffen.

Digitale Lernwelten sollen auf sinnvolle Art und Weise Einzug ins Klassenzimmer halten. In vielen Schulen mag der Wille dazu vorhanden sein; wegen mangelnder technischer oder pädagogischer Unterstützung sieht der Alltag jedoch häufig noch anders aus.  Dabei schlagen Wissenschaftler bereits gezielt die Brücke zwischen Informatik und Bildungswissenschaften – und schaffen so überzeugende virtuelle Lernumgebungen mit realem Mehrwert. So wie Professor Armin Weinberger mit seinem Masterstudiengang „Educational Technology“ an der Universität in Saarbrücken.

 

Noch ist das digitale Klassenzimmer an deutschen Schulen eher die Ausnahme als die Regel. Woran liegt das?
Hier müssen wir uns zu allererst in die Lage der Lehrer hineinversetzen. Viele haben – durchaus zu Recht – das Gefühl, dass ihnen zu ihrem beachtlichen Pensum ständig etwas Neues aufgebürdet wird. Daher spaltet sich das Lager der Pädagogen in solche, die den neuen Möglichkeiten durchaus aufgeschlossen begegnen, und jenen, denen schlicht die Ressourcen fehlen, um sich mit digitalen Lernwelten auseinanderzusetzen. Hinzu kommt natürlich auch eine Anzahl von Pädagogen mit einer grundsätzlich ablehnenden Haltung. Wir dürfen hierbei nicht vergessen: Es gibt viele Lehrer, die ihr Studium beendet haben, ohne je von digitalen Lernangeboten gehört zu haben.

Wo muss aus Ihrer Sicht der Hebel zur Lösung dieses Problems angesetzt werden und wie können Sie konkrete Hilfestellung bieten?
Wir haben zum Beispiel ein Gratis-Online-Seminar speziell für diese Zielgruppe entwickelt. Unsere Erfahrung zeigt, dass man Lehrern verdeutlichen muss: Die neuen Technologien mögen vielleicht kurzfristig mehr Aufwand bedeuten, lang- und mittelfristig erleichtern sie die Arbeit der Pädagogen. Schließlich geht es uns ja darum, das Lernen nachhaltig besser und effizienter zu gestalten.
Hinzu kommt der technische Aspekt: Es reicht nicht, einfach nur den Schulen die IT-Hardware, die teuer ist und zudem schnell veraltet, bereit zu stellen und sich dann zu verabschieden. Hier müssen wir den Schwerpunkt auf didaktische Konzepte setzen, wie genau wir welche digitalen Lernmittel sinnvoll einbinden. Wir sprechen hier von „instruktionalem Design“.
Darüber hinaus sollten Schulen konsequent ermutigt werden, Innovationen offen zu begegnen, etwa indem sie Boni erhalten, wenn sie mit Universitäten zusammenarbeiten oder technologieunterstütztes Lernen fördern. Alle drei Faktoren müssen ineinandergreifen, um einen echten kulturellen Wandel zu bewirken.

2011 wurde der Masterstudiengang Educational Technology an der Saar-Uni eingeführt. Welche Ihrer Erwartungen mussten Sie als erstes korrigieren?
Eine gute und wichtige Frage! Zunächst haben wir es geschafft, uns die Unterstützung von renommierten Bildungswissenschaftlern und Informatikern sowie weiterer Hochschulen zu sichern. Keine Selbstverständlichkeit! Was mich jedoch überrascht hat, war der hohe Rechtfertigungsdruck, der uns bis zum heutigen Tag begleitet: Wir müssen den Menschen immer wieder erklären, warum es sich lohnt, Technik und Pädagogik miteinander zu verbinden. Das öffentliche Interesse beschränkt sich zu häufig noch auf sorgenvolle Fragen wie: Schaden Computer und soziale Medien der kindlichen Entwicklung?

Als künftige Lehrer und Entwickler von Lernumgebungen sollen Ihre Studenten die technologischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts verstehen und anwenden können: soziale Medien und Netzwerke, Online-Werkzeuge, Multimedia, Simulationen und Mikrowelten, Lernspiele sowie mobiles Lernen mit Smartphones und Touch-Pads …
Exakt. Und die grundsätzliche Frage, die uns dabei antreibt, ist: Wie können wir das klassische Lernen in der Schule mit dem Lehrer, der traditionell den Unterrichtsstoff vermittelt, mit dem verbinden, was die Schüler außerhalb dieser Welt erfahren – und beides in zeitgemäße Lernarrangements übertragen? Das kann zum Beispiel bei der Exkursion in den Wald oder im Sportverein passieren, indem dort Daten gesammelt und im Unterricht ausgewertet werden. Heute erleben wir es weltweit, dass das Interesse der Schüler am Unterricht bereits ab der zweiten Klasse sinkt. Das kann man vielleicht als unvermeidbar akzeptieren. Aber gerade das selbstbestimmte Lernen, der Stolz auf die eigenen Lerninhalte bietet die Chance, dem Frustrationserlebnis etwas entgegenzusetzen und das Engagement der Schüler lebendig zu halten.

Können Sie Beispiele für Ihre Lernumgebungen nennen?
Wir haben beispielsweise eigene Facebook-Apps entwickelt, mit deren Hilfe Schüler kontrovers, aber konstruktiv miteinander diskutieren können. Dazu erhalten die Jugendlichen so genannte Kooperationsskripte, etwa in Form von Satzanfängen, mit denen wir produktive Interaktionsmuster fördern. Wir erleben, dass sich die Qualität der Argumentation unter den Schülern auf diese Weise deutlich erhöht. Und es macht den Jugendlichen wesentlich mehr Spaß, als allein zu lernen.
Darüber hinaus bieten wir so genannte MOOCs an – das Kürzel steht für Massive Open Online Courses. Speziell für abgelegene Regionen in Südostasien entwickeln wir derzeit Online-Lern-Kurse, die sich beispielsweise an Fischer richten, deren Fanggründe leergefischt wurden und die nun den Einstieg in den Öko-Tourismus wagen wollen. Oder wir zeigen alleinerziehenden Müttern über MOOCs, wie sie sich mit Microgeschäften als Unternehmerinnen selbstständig machen können. Natürlich wäre eine persönliche Betreuung optimal, aber wenn es vor Ort nicht genügend Coaches gibt, sind MOOCs eine effiziente Alternative.

Mit Ihrem Studiengang schlagen Sie die Brücke zwischen Pädagogik, Psychologie und Informatik …
Richtig! Kurz gesagt: Dem Bildungswissenschaftler bringen wir das Programmieren bei, dem Informatiker sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden. Dabei soll niemand seine fachliche Identität aufgeben. Es geht uns vielmehr darum, dass der eine Experte den der anderen Fachrichtung versteht. Ganz bewusst stellen wir stets multidisziplinäre Arbeitsgruppen mit einem breit gefächerten Wissen zusammen. Nur wenn diese Teams eine gemeinsame Sprache sprechen, können sie die komplexen Herausforderungen in diesem Bereich wirklich meistern.

Wie stellen Sie sicher, dass die von Ihnen und Ihren Studenten entwickelten Konzepte und Projekte später in der Praxis funktionieren?
Es ist natürlich hervorragend, wenn sich eine von uns entwickelte Lernsoftware später im Klassenzimmer bewährt. Wir wollen darüber hinaus jedoch präzise bestimmen können, welche Design-Prinzipien dieser Software in der Praxis funktionieren und diese Faktoren auch auf andere Tools übertragen. Auf diese Weise erfahren wir, wie wir ganz bestimmte Lernmechanismen unterstützen können.
Dazu gehen wir natürlich in die Schulen und untersuchen, wie beispielsweise eine entwickelte Lernsoftware vor Ort angenommen wird und ob sich ein Lernerfolg eingestellt hat. Im Mittelpunkt steht dabei die Prozessanalyse – sprich: wie genau gelernt wird, worüber die Jugendlichen beim Lernen sprechen, wie die Gestik und Mimik der Schüler ist. All das gibt uns wertvolle Einblicke in die kognitiven Prozesse der Jugendlichen. Dies wird für uns als Forscher immer wichtiger, weil die Lernprozesse der Zukunft sich wieder weg von der reinen Bildschirmerfahrung hin zu haptischen, körperlich fassbaren Erlebnissen entwickeln werden.

 


Cover Umfrage Schule digitalDamit Pädagogen den längst überfälligen Schritt zum digitalen Klassenzimmer wagen, braucht es neben einer zeitgemäßen IT-Ausstattung vor allem einen funktionierenden technischen und pädagogischen Support in den Schulen. Wie diese Unterstützung derzeit funktioniert und wo Optimierungsbedarf besteht, das zeigt eine aktuelle Studie der Telekom-Stiftung zum Thema.

 

Das sagen die befragten Schulleitungen und -träger zum pädagogischen und diaktischen Support an Schulen:

Autor: Karsten Taruttis