
„MINT ist überall“
Ob auf Instagram, TikTok oder YouTube, ob Mathematik, Klima oder Astronomie: In sozialen Netzwerken wimmelt es nur so von MINT-Themen. Sechs Fragen an sechs Influencer.
WAS HAT NACHHALTIG LEBEN MIT MINT ZU TUN?
Shia Su, Zero-Waste-Bloggerin (Illustration oben)
„MINT finden wir überall in unserem Alltag – das gilt auch für das Thema Nachhaltigkeit. Ob Solartechnik, E-Mobilität oder das weltweite Plastikproblem: All diese Dinge haben eine Menge mit den klassischen MINT-Fächern wie Physik, Chemie und Biologie zu tun. Wenn der Schulunterricht auch genutzt wird, um Zusammenhänge zu erklären – etwa die chemische Zusammensetzung von Kunststoffen und warum das in Form von Mikroplastik problematisch für die Umwelt ist –, dann ist das nicht nur spannend, sondern kann auch zu mehr Klimaschutz-Engagement motivieren. Ich setze mich in meinem Blog für einen nachhaltigen Lebensstil und vor allem Müllvermeidung ein. Dazu recherchiere ich viel und lese Studien. Durch meinen naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Hintergrund kann ich Fakten schnell verstehen und mit gesellschaftspolitischen Kontexten verknüpfen. Wenn ich meinen Content erstelle, versuche ich aber, davon Abstand zu gewinnen. Dabei habe ich immer eine Schulfreundin von früher vor meinem inneren Auge, die sich für das Thema interessiert, aber fachlich nichts damit zu tun hat. Denn ich möchte zeigen, dass Nachhaltigkeit nicht kompliziert sein muss. Weder was das Verständnis der Zusammenhänge angeht noch die ganz praktische Umsetzung im Alltag.“
Shia Su (37) zeigt in ihrem Buch „Zero Waste – weniger Müll ist das neue Grün“ und auf Social Media (Wasteland Rebel), wie sich Müll weitgehend vermeiden lässt.
WARUM KANN MAN DEN WELTRAUM GUT MIT COMICS ERKLÄREN?
Tim Ruster, Astro-Comics TV
„Unsere Schule hatte eine Sternwarte plus Planetarium, da habe ich immer Führungen für Schulklassen gemacht. Daraus ist die Idee entstanden, dieses Wissen öffentlich über YouTube zu verbreiten. Denn durch die genialen Fragen der Kinder ist mir vieles selbst erst klargeworden. Ich dachte mir, diese Fragen lassen sich am besten beantworten, wenn ich die astronomischen Fakten als gezeichnete Cartoons darstelle. Leider hatte ich in Kunst immer eine Fünf, aber ich habe trotzdem angefangen. Ich habe ganz einfach eine Erde mit einem Gesicht gemalt, sodass sie sprechen konnte. Das war die Geburtsstunde von Astro-Comics TV. Mit dem Thema Weltraum rennt man bei Kindern offene Türen ein, und zwar bei Jungen und bei Mädchen. Es gibt nichts, was den Horizont mehr erweitert als das All, finde ich. Jeder meiner Comics transportiert das Wissen letztlich über einen Witz. Zum Beispiel sagt der Mars in einem Comic, dass er nicht mit den anderen Planeten spielen kann, weil er eingerostet ist. Das ist viel eingängiger als die reine Information, dass er rot ist, weil seine Oberfläche aus Eisenoxid-Staub besteht.“
Tim Ruster (29) präsentiert auf seinem YouTube-Kanal Astro-Comics TV hauptberuflich wissenschaftliche Fakten über den Weltraum.
WAS BRAUCHT ES, UM EIN GUTER MATHEVERMITTLER ZU SEIN?
Nick Klupak, Mathetrainer
„Das Fachliche macht nur die Hälfte eines guten Mathelehrers aus. Die andere Hälfte besteht darin, die Schüler zu motivieren. Ich selbst stand in der neunten Klasse in Mathe auf einer Fünf. Mein Lehrer kam damals auf mich zu und sagte: ,Nick, ich dachte, du wärst ein guter Mathematiker.‘ Ein Satz, den ich nie vergessen werde, denn er zeigte mir, dass der Lehrer mir gute Leistungen zutraute. Das spornte mich an und ich schaffte es am Ende der zehnten Klasse, mich auf eine Zwei zu verbessern. Heute leite ich mein eigenes Nachhilfe-Institut und erreiche mit ,Mathe mit Nick‘ täglich mehr als 200.000 Menschen auf Instagram und TikTok. Ich weiß, dass jeder mit Spaß und den richtigen Methoden besser werden kann. Denn es geht nicht darum, der Beste zu sein. Es geht darum, besser als gestern zu sein. Wann immer es geht, versuche ich, die Mathematik mit Humor zu vermitteln. Wenn du es dann noch schaffst, in 60 Sekunden auf den Punkt zu kommen, sind Erfolge garantiert.“
Nick Klupak (36) studierte angewandte Mathematik und gründete 2009 das Coaching-Institut AKADEMUS für Realschüler und Abiturienten.
WIE LASSEN SICH MEHR FRAUEN FÜR MINT-BERUFE BEGEISTERN?
Amelie Reigl, dieWissenschaftlerin
„Um mehr Frauen für MINT-Berufe zu begeistern, sollte man früh anfangen, junge Mädchen zu fördern. Dabei ist es essenziell, genau zu erklären, was MINT-Berufe eigentlich sind, und aufzuzeigen, wie interessant Naturwissenschaften sein können – das ist auch eines meiner Anliegen als Biologiedoktorandin auf Social Media. Es ist zudem wichtig, eine realistische Perspektive für Karriere und Familie zu bieten. Es sollte für eine Frau nicht heißen müssen: ‚Ich mache keinen Doktor, denn ich will ja später mal eine Familie haben.‘ Hier ist ein Umdenken in den Institutionen nötig. Ich selbst hoffe, dass ich mich nach meiner Promotion nicht für eine Familie und somit gegen eine Karriere entscheiden muss, sondern beides miteinander vereinbaren kann. Denn in der Post-Doc-Phase stecken die meisten Frauen wegen der Familienplanung beruflich zurück.“
Amelie Reigl (26) berichtet auf Instagram und TikTok als „dieWissenschaftlerin“ aus ihrem Alltag als forschende Biologin.
GIBT ES AUF JEDE FRAGE EINE LEICHT VERSTÄNDLICHE ANTWORT?
Cedric Engels, Doktor Whatson
„Ja, das ist jedenfalls der Anspruch auf meinem YouTube-Kanal Doktor Whatson. Dort dreht sich alles um Themen wie Physik, Chemie, Biologie bis hin zu IT, Medizin und Zukunftstechnologien. Mein Rezept: Ich packe immer viele Informationen in ein möglichst kurzes Zeitfenster und erkläre wissenschaftliche Phänomene ohne große Umschweife, ganz klar auf den Punkt. Das kommt bei jungen Leuten sehr gut an, denn mit jedem Video nehmen sie eine große Menge Fakten mit. Auch Humor ist super hilfreich, denn damit fühlt man sich unterhalten und merkt gar nicht, dass man auch etwas lernt. Natürlich braucht es auch eine Persönlichkeit vor der Kamera, die eine Antwort sauber und leicht verständlich rüberbringt. Ich glaube, unsere Zuschauer können sich gut mit mir als Moderator identifizieren. Denn wenn ich Themen spannend finde, dann brenne ich dafür – ich will unbedingt darüber reden. Diese Faszination wirkt ansteckend und funktioniert auch bei vermeintlich komplizierten Themen wie künstlicher Intelligenz.“
Cedric Engels (24) erklärt als „Doktor Whatson“ wissenschaftlich-technische Themen und ist Geschäftsführer der TWENTYTWO Film GmbH.
WIE ERKLÄRT MAN EINE KRISE, DIE SICH IN ZEITLUPE ENTWICKELT?
Pauline Brünger, Klimaaktivistin
„Wenn wir die Klimakrise in ihrer desaströsen Wucht erleben, dann wird es schon zu spät sein, ihr etwas entgegenzusetzen. Ein guter Weg, die vielen komplexen physikalischen Zusammenhänge greifbar zu machen, sind – so unsexy das auch klingt – ausdrucksstarke Graphen und Diagramme. Was diese abstrakten Darstellungen dann für unsere Realität bedeuten, kann man sich übrigens seit Corona auch viel besser vorstellen: An den steigenden Inzidenzwerten haben wir hautnah erlebt, was es bedeutet, wenn exponentielles Wachstum unserer Kontrolle entgleitet. Das darf uns beim Klima auf keinen Fall passieren. Denn hier gibt es keinen noch so harten Lockdown oder Impfstoff, die den Trend schnell umkehren könnten. Auf Social Media nutzen wir natürlich auch viele Bilder und Fotos, um die Klimakrise zu veranschaulichen. Hier geht es vor allem darum, die passenden Motive zu wählen. Denn obwohl der einsame Eisbär auf der schmelzenden Eisscholle niedlich ist, scheitert er daran, die tatsächlichen Folgen für die Menschheit aufzuzeigen. Was bei guter Klimakommunikation auch nicht fehlen darf: einen Ausweg aus der Katastrophe anbieten! Noch haben wir es in der Hand, dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen.“
Pauline Brünger (19) ist eine der Sprecherinnen von Fridays for Future Deutschland, wo sie auch die Social-Media-Aktivitäten koordiniert.
Der Artikel ist in Ausgabe Nr. 9 unseres Bildungsmagazins „sonar“ zum Thema „MINT kreativ“ erschienen.
Protokolliert von: Klaus Rathje
Illustrationen: André Laame/Sepia