
Mehr Konsens als erwartet
Eine groß angelegte Studie hat erstmals ermittelt, welches Mathewissen MINT-Studienanfänger mitbringen müssen – auch, um den hohen Abbrecherquoten entgegenzuwirken.
Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Studiengänge halten einen traurigen Rekord, denn hier sind die Abbruchquoten am höchsten. 39 Prozent der Universitätsstudierenden beenden laut dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) vorzeitig ihr MINT-Studium, bei Fachhochschulen sind es sogar 42 Prozent. Der Hauptgrund, das Studium abzubrechen, läge in „unbewältigten Leistungsanforderungen“. Vom volkswirtschaftlichen Schaden einmal abgesehen, ist es natürlich für die Studierenden frustrierend, dass sie teilweise mehrere Semester umsonst studiert haben. Einigen hätte es sicherlich geholfen, wenn sie die „Leistungsanforderungen“ gekannt und sich hätten darauf einstellen können. Genau dort knüpft die aktuelle Studie „Mathematische Lernvoraussetzungen für MINT-Studiengänge“, kurz: MaLeMINT an, die im Dezember erschienen ist.
Zu wenig Transparenz
„Bei Schulen gibt es über die offiziellen Lehrpläne relativ transparente Informationen, was die Schüler am Ende können müssen. Bei den Hochschulen existieren hingegen kaum Vorgaben, was die Studienanfänger mitbringen müssen“, erklärt Professor Aiso Heinze vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN). „Wir haben im Gegensatz zu anderen Staaten ja keine Studieneingangstests, die einen Standard setzen.“ Umso größer ist die Bedeutung der Studie, die erstmals in großem Stil die mathematischen Anforderungen für MINT-Fächer abgefragt hat. „Am meisten hat uns überrascht, dass wir unter den Hochschuldozenten einen recht breiten Konsens finden konnten“, sagt Dr. Irene Neumann vom IPN. „Schließlich befanden sich unter den knapp 1.000 Befragten Lehrende von den verschiedenen Hochschularten. Außerdem haben Mathematik-Dozenten für unterschiedliche Studiengänge teilgenommen, der gesamte MINT-Bereich war vertreten.“
Zwei Welten
So gab es immerhin bei 140 der mathematischen Lernvoraussetzungen eine Übereinstimmung zwischen den befragten Hochschullehrern. Nur bei 35 diskutierten Fähigkeiten gab es einen Dissens. Von daher scheint es möglich und höchst sinnvoll, dass die Hochschulen einen gemeinsamen Grundkanon veröffentlichen, um eine klare Orientierung zu geben. Dieser kann dann noch um studiengangsspezifische Lernvoraussetzungen ergänzt werden. „Auch für Mathematiklehrer an den Schulen wären das wertvolle Daten, da sie ihre Schüler dann besser beraten können“, ist Aiso Heinze überzeugt. So ließen sich die Studien-spezifischen Unterschiede im Unterricht besser herausarbeiten, meint Irene Neumann: „Ein Lehrer könnte seine Schüler zum Beispiel darauf hinweisen, dass ein bestimmtes mathematisches Thema gerade für ein Informatik-Studium wichtig sein wird. Letztlich könnte man so auch die Unterrichtsmaterialien differenzieren.“
Die Studie soll letztlich Schulen und Universitäten wieder näher zusammenbringen, ohne dass die eine Institution der anderen für eine vermeintliche Bildungsmisere die Schuld gibt. Wichtig ist Transparenz - auf beiden Seiten. „Wir sind gerade dabei, alle Lehrpläne nochmal im Detail anzuschauen und mit den Ergebnissen unserer Studie abzugleichen“, so Aiso Heinze. „Hier macht sicherlich eine Überprüfung auch von Seiten der Kultusministerien Sinn, ob sie noch zu den aktuellen Anforderungen der Hochschulen passen.“
Mittelfristig wäre es natürlich zu wünschen, wenn es in Zukunft weniger Studienabbrecher gäbe. Die Erkenntnisse der Studie können hierbei sicherlich einen wertvollen Beitrag leisten. Grundsätzlich sollten sich aber alle Abiturienten über eines im Klaren sein“, so Aiso Heinze. „In der Schule geht es um Mathematik als Teil der Allgemeinbildung, die Universität versteht Mathematik als wissenschaftliche Disziplin. Das sind zwei verschiedene Welten.“
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