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Das Bild zeigt Olaf Köller, Jürg Kramer und Ekkehard Winter (v.l.).

Mathelehrer nachhaltig fit machen – langer Atem zahlt sich aus

Interview mit IPN-Direktor Olaf Köller, DZLM-Direktor Jürg Kramer und Stiftungsgeschäftsführer Ekkehard Winter

Seit zehn Jahren entwickelt, implementiert und erforscht das Deutsche Zentrum für Lehrerbildung Mathematik (DZLM) bundesweit wirksame Fortbildungsangebote für Multiplikatoren, Lehrkräfte und Kita-Fachkräfte im Fach Mathematik. Initiiert und finanziert wurde das DZLM bislang von der Deutsche Telekom Stiftung, die mehr als zehn Millionen Euro in die Einrichtung investiert hat. Ab 2021 setzt das DZLM seine erfolgreiche Arbeit unter dem Dach des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel fort. Ziele und Hintergründe erläutern Professor Jürg Kramer, Direktor des DZLM, Dr. Ekkehard Winter, Geschäftsführer der Telekom-Stiftung, sowie Professor Olaf Köller, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des IPN.

Warum hat die Deutsche Telekom Stiftung das Deutsche Zentrum für Lehrerbildung Mathematik 2011 ins Leben gerufen?

Dr. Ekkehard Winter: Die Stiftung hat sich mit ihrer Gründung 2003 auch unter dem Eindruck des „PISA-Schocks“ die Verbesserung der Qualität des Mathematikunterrichts auf die Fahnen geschrieben. Dazu haben wir von Beginn an mit Experten aus Wissenschaft und Praxis zusammengearbeitet und später auch – unter Leitung von Professor Heinz-Elmar Tenorth – die Kommission „Mathematik entlang der Bildungskette“ ins Leben gerufen, die letztlich den Anstoß zur Ausschreibung und Gründung des DZLM gab.

Was genau sind die Erfolgsfaktoren für eine professionelle Weiterentwicklung von Mathematik-Lehrkräften? Warum mangelt es daran in Deutschland?

Professor Jürg Kramer: Der wichtigste Faktor ist eine klare Programmatik, die wir über die Jahre – wissenschaftlich fundiert und in der Praxis erprobt – erarbeitet haben. Dazu gehört insbesondere ein systematisches und kohärentes Programm zur Entwicklung und Beforschung von Fortbildungskonzepten.

Professor Olaf Köller: Das ist in der Tat der Kernpunkt. Eine der großen Stärken des DZLM besteht darin, dass sich die Angebote ganz gezielt an Mathematik-Lehrkräfte und -Fortbildende richten, während andere Fortbildungsveranstaltungen heute oft zu wenig fachspezifisch ausgerichtet sind. Und dann zeigt sich: „Eintagsfliegen“ haben sich in der Fortbildung von Lehrkräften nicht bewährt. Gelerntes muss immer wieder in Erprobungs- und Reflexionsphasen hinterfragt, modifiziert und angepasst werden. So etwas dauert nun einmal länger als einen Nachmittag.

Winter: Das deutsche Bildungssystem krankt daran, dass sich ein Einzelkämpfertum bei den Lehrkräften etabliert hat – von der Ausbildung über das Referendariat bis hin zum Berufsalltag in den Schulen. Anders als beispielsweise in Asien gibt es bei uns keine Kultur, den Unterricht gemeinsam mit Kollegen zu entwickeln und eine kontinuierliche professionelle Weiterentwicklung von Lehrkräften voranzutreiben. Dafür müssten in Deutschland die Rahmenbedingungen, inklusive der dafür gewährten Zeitkontingente in den Schulen, ebenso angepasst werden wie die Einstellung in den Köpfen.

Das DZLM verzahnt Wissenschaft und Fortbildungspraxis miteinander. Wie setzen Sie das konkret um?

Kramer: Unser großes Plus ist, dass alle unsere Angebote und Produkte auf wissenschaftlich fundierter Arbeit basieren. Ebenso wichtig ist uns, die Rückmeldungen aus der Praxis mitaufzunehmen. Im DZLM begegnen sich beide Seiten auf Augenhöhe. Denn nur gemeinsam können wir mit erfahrenen Fachkräften die besten Produkte entwickeln. Mit unserem empirisch-qualitativen und -quantitativen Ansatz schaffen wir die Entwicklung vom Prototypen zum ausgereiften Angebot für Lehrkräfte und Multiplikatoren. So etwas gelingt nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft.

Und die Rückmeldungen sind gut?

Kramer: Ja, erfreulicherweise erhalten wir grundsätzlich sehr positives Feed-back, denn Erzieher, Lehrer und Fortbildende geben uns sehr ausführlich Rückmeldung zu unseren Angeboten und verbreiten diese weiter. Dieses Feed-back ist ganz entscheidend für die ständige Verbesserung und somit die Qualität unserer Produkte.

Sie kooperieren mit Verantwortlichen aus Landesinstituten, Ministerien und Bezirksregierungen. Wie hat sich diese Zusammenarbeit im Laufe der Jahre entwickelt?

Kramer: Hier hat sich eine gute Portion Fingerspitzengefühl bewährt – und dass wir eben keineswegs als allwissendes Zentrum aufgetreten sind. Dadurch dass wir stets ein offenes Ohr für die Anliegen und das Praxiswissen der Institutionen gezeigt haben, ist ein hohes Maß an Vertrauen zwischen dem DZLM und vielen Akteuren in den Landesinstituten und Ministerien gewachsen. Das spiegelt sich auch in der zunehmenden Entwicklung gemeinsamer Projekte wider. Der Bedarf an fundierten Fortbildungsangeboten ist riesig. Daher sind wir daran interessiert, gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz künftig eine tiefgreifende Fortbildungsinitiative im Fach Mathematik anstoßen.

Angehende Mathematiklehrer werden zunächst einmal an Hochschulen ausgebildet, mit denen das DZLM einen intensiven Austausch pflegt. Inwiefern kann eine Institution wie Ihre Einfluss auf die Ausbildungsqualität von neuen Generationen von Mathematik-Lehrern nehmen?

Winter: Ein großes Defizit sehen wir bei Hochschulen, wenn es um die Förderung und Erforschung von Fortbildungen für bereits berufstätige Lehrkräfte geht. Da passiert eindeutig zu wenig. Außerdem müsste allen Absolventen einer Lehramtsausbildung schon im Studium vermittelt worden sein, dass sie nie ausgelernt haben. Einmal laden, immer leuchten – das funktioniert halt nicht. Wir brauchen eine bereits früh eingeimpfte Bereitschaft zum lebenslangen Lernen, wie es auch in anderen Berufsgruppen, etwa bei Medizinern, gang und gäbe ist. Das gilt ebenso für den Gedanken der Teamarbeit, der bereits bei angehenden Lehrern fest verankert werden sollte.

Wie kam es nun zu der Fortführung des DZLM unter dem Dach des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel? Welche Ziele verbinden Sie mit diesem Schritt?

Köller: Im wissenschaftlichen Beirat des DZLM haben wir uns frühzeitig Gedanken über die Verstetigung der Einrichtung gemacht und eine Anbindung an die Leibniz-Gemeinschaft klar favorisiert. Dabei kam uns die Evaluierung des IPN im Jahre 2017 zugute, die als Ergebnis zeigte, dass wir in Kiel künftig einen stärkeren Wissenstransfer in die Praxis schaffen müssen. Das mündete für das IPN letztlich in eine strategische Erweiterung. In diesem Zuge haben wir eine neue Abteilung mit dem Schwerpunkt „Fachbezogener Erkenntnistransfer“ gegründet, in die wir das DZLM mit seinem Netzwerk integrieren können.
In diesem Zusammenhang möchte ich mich ausdrücklich bei allen Beteiligten – vor allem auch bei den zuständigen ministeriellen beziehungsweise senatorischen Behörden in Berlin und Schleswig-Holstein – bedanken, dass sie diesen Weg gemeinsam mit uns gehen.

Winter: Für uns als Stiftung bedeutet es eine große Anerkennung, dass das DZLM seine Arbeit nun als neue Abteilung im IPN fortsetzen kann. Ich war stets überzeugt, dass dies eben nicht in einem Hochschulverbund oder als Projekt der Länder, sondern nur innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft gelingen kann.

Wie wird sich die Arbeit des DZLM unter den neuen Voraussetzungen ändern? Gibt es neue Schwerpunkte, die Sie sich für die Zukunft setzen wollen?

Köller: Die wichtigste Neuerung ist sicherlich, dass wir im IPN den Fokus des DZLM auf die Mathematik künftig auf die Naturwissenschaften – Biologie, Chemie, Physik – ausweiten wollen. Bislang arbeiten wir stark grundlagenorientiert. Aber ich bin überzeugt, dass wir die praxisorientierte Perspektive des DZLM erfolgreich übertragen und von weiteren Synergien mit unseren bestehenden Abteilungen profitieren können. In der Übertragung der DZLM-Mission auf die Naturwissenschaften sehen wir ein enormes Potenzial.

Kramer: Wir freuen uns darauf, dass wir diese neu geschaffenen Synergien nutzen können. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam unter dem Dach des IPN weitere Initiativen zur Stärkung der Fortbildungspraxis erfolgreich anschieben.

Wo sehen Sie Potenziale für das DZLM im Zuge der zunehmenden Verbreitung digitaler Lernmittel und -plattformen?

Kramer: Es gibt durchaus einige Anbieter, die hier über das notwendige technische Know-how verfügen. Das mathematik-didaktische oder naturwissenschaftlich-didaktische Wissen fehlt jedoch. Diese Lücke zu schließen und gemeinsame Lösungen voranzubringen, darin sehe ich eine große Chance für uns.

Köller: Dass Lehrkräfte diese digitalen, intelligenten Systeme didaktisch künftig sinnvoll nutzen, bedeutet gleichzeitig eine riesige Aufgabe – dazu ist ein hohes Maß an Fortbildung zwingend notwendig. Hier können wir wertvolle Unterstützungsarbeit leisten.

Nach rund zehn Jahren übergibt die Telekom-Stiftung das DZLM an das Leibniz-Institut (IPN). Dadurch werden bei Ihnen personelle und finanzielle Ressourcen frei. Wie wollen Sie diese künftig nutzen?

Winter: Lassen Sie mich betonen: Wir sind und bleiben eine MINT-Bildungs-Stiftung. Nur werden wir uns künftig verstärkt auf Anwendungsbereiche konzentrieren – auf Themen, wo insbesondere auch Mathematik drin ist, aber nicht draufsteht: Künstliche Intelligenz, Machine Learning, Data Science oder die praktische Anwendung von mathematischen Schwerpunkten im Statistik-Bereich, wie sie heute beispielsweise bei der Berechnung von Pandemien oder der Klimaforschung zum Tragen kommen. In diesem Zuge wollen wir auch die Schule mit anderen Lernorten enger vernetzen: mit Schülerlaboren, Maker Spaces, Bibliotheken und Jugendhäusern.

Interview: Karsten Taruttis

Fotos: Britta Hüning, Michael Ebner, Deutsche Telekom Stiftung