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„Kaum weibliche Rollenmodelle“

Pädagogin und Gender-Forscherin Heidrun Stöger über Frauen und MINT-Karrieren

Anlässlich des Internationalen Frauentages berichtet die Pädagogin und Gender-Forscherin Heidrun Stöger im Interview, warum immer noch viel weniger Frauen als Männer eine MINT-Karriere einschlagen.


Frau Professorin Stöger, der Frauenanteil in MINT-Studienfächern und -Berufen ist weiterhin gering. Sie beschäftigen sich als Wissenschaftler unter anderem mit Genderforschung. Interessieren sich Mädchen und Frauen tatsächlich nicht fürs Tüfteln, Experimentieren und Rechnen, oder ist das nur ein Klischee?
Verschiedene Studien weisen tatsächlich darauf hin, dass Jungen sich mehr für MINT-Themen interessieren als Mädchen. Einige zeigen jedoch auch, dass die Interessenunterschiede durchaus variieren. Beispielsweise geben Mädchen an, ähnlich gerne zu experimentieren und mit dem Mikroskop zu arbeiten, während sich in anderen Bereichen, zum Beispiel dem Reparieren elektrischer Geräte, besonders große Geschlechtsunterschiede zu Ungunsten der Mädchen zeigen. Ähnlich ist es bei der Studienwahl; wenn Mädchen sich für MINT-Studiengänge entscheiden, sind es eher Fächer wie Biologie oder Chemie und deutlich seltener Informatik oder Ingenieurwissenschaften.


Woran liegt es, dass die alten Rollenbilder sich so hartnäckig halten?
Dazu tragen verschiedenste Faktoren bei. Neben häuslicher und schulischer Sozialisation spielen unter anderem die Medien eine wichtige Rolle. Trotz diverser Interventionsmaßnahmen werden dort nach wie vor mehr Jungen und Männer in MINT-Kontexten dargestellt – das betrifft auch Schulbücher. Ein weiterer Grund sind fehlende Rollenmodelle. Aufgrund der niedrigen Partizipation von Frauen in MINT begegnen Mädchen nur sehr selten Rollenmodellen, die erfolgreich in MINT sind. Ist dies der Fall, so sind diese Rollenmodelle oft so weit weg von der Lebenswelt der Mädchen, dass sie nicht wirklich als Vorbilder genutzt werden können. Verschiedene Studien zeigen, dass Rollenmodelle sogar abschreckend wirken können, wenn sie als zu unterschiedlich eingeschätzt werden.


Was muss passieren, damit sich die Situation ändert?
Man muss zunächst die Gründe genau analysieren und dann an möglichst vielen dieser Gründe gezielt ansetzen. Dabei ist es besonders wichtig, längerfristige Maßnahmen umzusetzen. Kurzfristige Maßnahmen – beispielsweise Schnuppertage oder mehrtägige Projekte – können das Interesse und die Motivation zwar kurzfristig steigern, allerdings verpuffen sie häufig, sobald die Mädchen wieder in ihr gewohntes Umfeld zurückkehren, wenn sie nicht mir längerfristigen Maßnahmen kombiniert werden.


Sie haben „CyberMentor“ ins Leben gerufen, ein Online-Mentoring-Projekt, bei dem Schülerinnen zwischen 12 und 18 Jahren über einen längeren Zeitraum von persönlichen Mentorinnen betreut werden, mit ihnen beispielsweise über MINT-Studiengänge und Berufe sprechen. Welche Erfahrungen machen Sie mit dem Programm?
An dem Programm nehmen jährlich deutschlandweit bis zu 800 Mentoring-Paare teil. Interessanterweise ist es viel einfacher, erfolgreiche MINT-Frauen zu finden, die sich als Mentorinnen engagieren, als Schülerinnen, die an diesem für sie kostenlosen Programm teilnehmen. Dies zeigt einerseits, wie groß der Bedarf für solche Programme von MINT-Frauen eingestuft wird, und andererseits, wie groß die Hemmschwelle bei Schülerinnen ist, sich für MINT-Angebote zu entscheiden. Besonders beeindruckend finde ich das Engagement der Mentorinnen, die sich – trotz ihrer MINT-Karrieren – sehr viel Zeit für das Mentoring nehmen und außerordentlich kreative Ideen für Projekte und MINT-Aktionen einbringen. Einige Schülerinnen nutzen das Programm, um erste Eindrücke über MINT zu bekommen, andere möchten möglichst tief in die Thematik einsteigen. Gerade letztere nehmen häufig mehrere Jahre am Programm teil.


Und starten anschließend selbst eine MINT-Karriere?
Tatsächlich studieren mehr als 70 Prozent der Teilnehmerinnen später ein MINT-Fach. Besonders erfreulich finde ich auch, dass wir nach zehn Jahren CyberMentor bereits einige Mentorinnen haben, die früher selbst als Mentee bei CyberMentor mitgemacht haben.

 

Professorin Heidrun Stöger ist 2017 Mitglied der Auswahljury für den Medienpreis Bildungsjournalismus, den die Deutsche Telekom Stiftung vergibt.