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Ein Mann sitzt auf einem Bücherstapel und liest ein Buch

Ins Netz gegangen

Viele Bücher widmen sich den digitalen Herausforderungen unserer Zeit. Vier Tipps für große und kleine Leser. 

MEHR GELASSENHEIT, LIEBE ELTERNCover „Digitale Hysterie“

Georg Milzner (2016): Digitale Hysterie. Warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen.

Georg Milzners „Digitale Hysterie. Warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen“ bestärkt die These: Eine kompetente Nutzung digitaler Medien ist heute eine wichtige Voraussetzung für ein glückendes berufliches und privates Leben und Erwachsene sollten Kinder und Jugendliche durch wahres Interesse und aktive Teilnahme beim Erkunden der digitalen Welt unterstützen. Der Autor legt auf rund 250 Seiten schlüssig dar, wie sich das kindliche und jugendliche Medienkonsumverhalten gestaltet und was an den in den vergangenen Jahren oftmals mit markigen Schlagzeilen wie „Digitale Demenz“ und „Abgetaucht nach Digitalien?“ hervorgebrachten Ängsten eigentlich dran ist. Die teilweise schon hysterischen Schreckensszenarien rund um die kindliche und jugendliche Mediennutzung untersucht und entkräftet Milzer in seinem Buch aus psychologischer Perspektive. Und der nüchterne Blick, den Milzer auf die Dinge hat, ist einer sachlichen Debatte zuträglich. 

Aufgrund der Erfahrungen, die der niedergelassene Kinder- und Jugendtherapeut Milzner in Zusammenarbeit mit Pädagogen und Eltern macht, kommt er zu dem Schluss, dass sich eine Vielzahl der Konflikte, die sich zwischen Erwachsen und Kindern und Jugendlichen wegen der Mediennutzung entspinnen, auf den nicht kompetenten Umgang der Erwachsenen mit digitalen Medien zurückführen lassen. Die typischen Reaktionen von Erwachsenen – Unverständnis, Abwehr und Verbot und deren Auswirkung auf die kindliche Psyche – werden in vielen Fallbeispielen aus Milzners langjährigem Erfahrungsschatz dargelegt. Für Milzner sind die Abwehr und Verbote der Erwachsenen oftmals ein Spiegel ihrer eigenen Ängste. Um aber tatsächlich ein gutes Aufwachsen mit digitalen Medien zu gewährleisten, sollten sich Eltern und Pädagogen eher als Mittler sehen und ihre eigenen Vorbehalte gegenüber dem „Neuen“ ablegen.

Der Fokus des Buchs liegt auf dem Computerspielverhalten von Kindern und Jugendlichen. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie berechtigt die Dämonisierung von Computerspielen eigentlich ist. Milzner entschärft viele Ängste und führt zahlreiche Studien und eigene Eindrücke an, die vom Vorurteil des fettleibigen, computerspielenden „Amokläufers“ wegführen. So gelingt es ihm, die Diskussion zu Computersucht auf eine sachliche Ebene zu bringen. Dabei zieht er Parallelen zu anderen Formen der Mediennutzung, etwa zur viel beklagten Telefonie der 80-ziger und 90-ziger Jahre, der ähnlich schädliche Wirkungen auf Psyche und Entwicklung nachgesagt wurde. Deutlich schwerer fällt eine eindeutige Zurückweisung der Zusammenhänge des Spielens von Ego-Shootern und Gewalt. Obschon Milzner vielerorts darauf hinweist, dass es immer darauf ankommt, wer so ein Spiel spielt, und wie diese Person sozial eingebunden ist, bleiben doch Restzweifel; vor allem wenn Milzner selbst vergegenwärtigt, dass solche Spiele von Psychologen für das Training von Soldaten und für das gezielte Absenken von Hemmschwellen entwickelt wurden. Der Dämonisierung von Computerspielen wird überzeugend entgegengehalten, dass es eine Vielzahl hochkarätiger Computerspiele für Kinder und Jugendliche gibt, die Fantasie, Sprache und Geschicklichkeit fördern. Tendenz steigend, denn die Spieleindustrie ist gewaltig. 

Das Buch schließt im letzten Kapitel mit  einer schlüssige Analyse des Medienkonsums in unser Gesellschaft heute. Hier wird besonders deutlich herausgearbeitet, dass vieles, was bei Jugendlichen und Kindern als Störung bemängelt wird, bereits von Erwachsenen vorgelebt wird. In diesen Passagen fasst man sich als Leser manchmal doch erstaunt an die eigene Nase. Alles in einem ein reichhaltiges Buch, das nachdenklich stimmt und vergegenwärtigt, dass nicht nur Grundschüler den Bedarf haben, digital kompetenter zu werden, sondern auch die Eltern- und Lehrergeneration.

 

WENN KINDER DAS INTERNET BEFRAGENCover „WWWas?“

Jan von Holleben, Jane Baer-Krause & Kristine Kretschmer (Hrsg.): WWWas? Alles, was du schon immer übers Internet wissen wolltest.

Kann man Computer impfen? Und sind Cookies essbar oder nicht? – All das sind Fragen, für die „WWWas?“ eine Antwort parat hat. Das Buch für Kinder ab acht Jahren entwirrt den Datendschungel und hält für neugierige Leser viele interessante Antworten auf Fragen zur digitalen Welt bereit. In fünf Kapiteln plus Linksammlung und Fachwörter-Lexikon bringt das Buch auf 160 Seiten Basisinformationen zum Internet. Diese sind zwar von kleineren Anleitungen begleitet, jedoch setzt „WWWas?“ eindeutig auf die altersgerechte Vermittlung von Hintergrundwissen. Das gelingt den Autoren vollauf. 

Die Gestaltung des Buchs ist aufgrund der kreativen Bebilderung sehr ansprechend und lädt die jungen Leser dazu ein, Sachen eigenständig zu erkunden. Kein Wunder, denn der Fotokünstler Jan von Holleben hat sie zusammen mit Kindern entwickelt und ein echtes Kunstwerk geschaffen. Das Buch erhält so einen starken bildlichen Ausdruck, der die kindliche Vorstellung von der Funktionsweise des Internets und der technischen Endgeräte auf anschauliche und kreative Weise verdeutlicht. 

Auch die Inhalte wurden von den Autoreninnen Jane Baer-Krause und Kristine Kretschmer in Zusammenarbeit mit Kindern erarbeitet, was wirklich sehr gelungen ist. Wichtige Themen werden anhand von 70 Kinderfragen eingeführt, die Antworten fallen kindgerecht aus und das Buch ist besonders nah an der Lebenswelt der jungen Leser. Sehr überzeugend ist, dass das „WWWas?“ dabei auch unangenehme Themen wie Kriminalität im Netz, Internetsucht oder Cybermobbing nicht ausspart. 

Ein großer Schwerpunkt sind hierbei Persönlichkeitsrechte und urheberrelevante Fragen. Gleich in mehreren Abschnitten geht es um so wichtige Themen wie das Recht am eigenen Bild, Hatespeech und um einen respektvollen Umgang nicht nur in der realen Welt. Auch bei besonders schambesetzten und schwierigen Themen wie Cyber-Grooming führen die Autorinnen auf sensible Weise bedeutende Verhaltensregeln ein. Ein wichtiges und vor allem sehenswertes Buch, das Kinder dazu befähigt, sich mündig und souverän in der digitalen Welt zu bewegen. 

 

DAS GEHEIME ONLINE-LEBEN DER TEENIESCover „What´s App, Mama?“

Robert Campe (2017): What's App, Mama? Warum wir Teenies den ganzen Tag online sind - und warum das okay ist!.

Wie funktioniert Snapchat? Warum ist Instagram bei Jugendlichen cool und Facebook uncool? Und warum sind Teenies den ganzen Tag online – und ist das wirklich okay? Robert Campe, 16 Jahre alt und Digital Native, hat dazu ein Buch geschrieben. „What’s App, Mama?“ lautet der Titel des Werks, das gerade erschienen ist und Erwachsenen die Medienwahrnehmung von Jugendlichen und den selbstverständlichen Umgang mit sozialen Netzwerken erklären möchte. Zielgruppe sind all die, die bei Gronkh an ein Wesen aus einem Tolkien-Roman denken, den Unterschied zwischen Emoticon und Emoji nicht kennen und bei Haul überlegen müssen, wie sie aussprechen würden (geschweige denn wissen, was es bedeutet). Also auch junge Erwachsene, die trotz aller Medienaffinität mit Begriffen wie Vlogs und Streak wenig anfangen können ...

Das Buch, das in Zusammenarbeit mit Tanja Bertele bei Eden Books entstanden ist, ist überraschend informativ: Nach einem Einstiegs-Wissenstext (mit einer für den Leser evtl. etwas ernüchternden Auswertung) und einer Einführung in die ultimativen Gadgets für Jugendliche erklärt Campe in den folgenden Kapiteln die für junge Menschen wirklich relevanten Apps und Social-Media-Plattformen. Und hier erfährt der Leser mehr als nur die Tatsache, dass der Content von Facebook für Jugendliche völlig uninteressant ist, SMS nur noch mit der älteren Generation geschrieben werden und Instagram, WhatsApp und selbst Snapchat aus der sozialen Kommunikation nicht mehr wegzudenken sind. Nein, die Kapitel gehen angenehm ins Detail: Die wichtigsten Social-Media-Dienste, Apps und Online-Plattformen (wie Facebook, Twitter, Instagram, Pinterest, YouTube, WhatsApp, Snapchat, Spotify, WordPress, Tumblr, SoundCloud und viele mehr) werden hier mit ihren Grundfunktionen, Features und Kategorien vorgestellt und eingeordnet, ausschlaggebend ist immer die (tatsächliche) Relevanz und der Nutzen für Jugendliche.

Und mehr noch: Campe gibt einen interessanten Überblick über die bekanntesten Streaming-Dienste und den Stellenwert des Online-Streamens, berichtet über beliebte Online-Spiele wie FIFA oder Call of Duty, die Faszination für Hauls, Unboxing und Lifehacks, die Vorteile eines Crossposts, den selbstverständlichen Einsatz von Apps wie Facetune und seine Erfahrungen bei der geschlechterspezifischen Nutzung verschiedener Online-Dienste. Trotz aller informativer Fülle wäre dem Buch jedoch manchmal eine etwas kritischere Haltung gegenüber dem im Internet stattfindenden sozialen Leben der Jugendlichen (wie beispielsweise bei Themen wie Cybermobbing) zu wünschen gewesen. Durch seinen bildungsnahen Hintergrund kann der junge Autor und Hamburger Gymnasiast seine Online-Erfahrungen vermutlich besser einordnen als einige seiner Altersgenossen, und dass viele der erwähnten digitalen Must-haves für eine große Zielgruppe nicht erreichbar sind, versteht sich darüber hinaus von selbst.

Für Eltern (und Pädagoginnen und Pädagogen) ist „What’s app, Mama?“ dennoch eine informative Lektüre und ein umfangreiches Nachschlagewerk, um sich darüber zu informieren, wie Teenager ihre Smartphones benutzen und mit den sozialen Netzwerken im Alltag umgehen. Der wohl wichtigste Ratschlag des Buches an die Leser lautet: Seid neugierig, redet mit euren Kindern, lasst euch die Dinge zeigen und erklären!

Hinweis: Lesen Sie ein Interview mit Robert Campe sowie dem Medienwissenschaftler Michael Haller und der Moderatorin Nova Meierhenrich über den digitaler werdenden Bildungsalltag in der zweiten Ausgabe unseres Bildungsmagazins „sonar“ (ab Seite 6).

 

MÄDCHEN, RAN AN DIE DATEN!Cover „Hack´s selbst“

Daniela Burger, Chris Köver und Sonja Eismann (Hrsg.): Hack’s selbst! Digitales Do It Yourself für Mädchen.

Hack’s selbst ist das Do it Yourself-Muss für junge Frauen. Auf 141 Seiten gelingt es den Autorinnen Daniela Burger, Chris Köver und Sonja Eismann, jungen Frauen einen Kit in die Hand zu geben, mit dem sie sicher und kompetent durch den immer komplexer werdenden digitalen Dschungel surfen können. Das Buch ist ein Aufruf, Dinge nicht als gegeben hinzunehmen.

In sieben Kapitel (Spielen und Erzählen, Hacken und Verbessern, Senden und Wissen teilen, Engagieren und Vernetzen, Programmieren, Designen und Vertonen, Sichern und Verschlüsseln) wird ein bunter Strauß an niedrig-schwelligen und komplexeren Anleitungen präsentiert, die von Hintergrundinformationen und Anregungen mit weiterführender Literatur und Links begleitet werden. Obschon der Einstieg ein wenig holprig gerät, freundet man sich schnell mit dem direkten und praktischen Duktus an, in dem das Buch gehalten ist. So sind die Anleitungen vielerorts bestechend klar formuliert und laden zum Selbermachen ein.

Spielerisch werden die Leserinnen darin unterstützt, ein kritisches Bewusstsein für die digitale Welt zu entwickeln. Insgesamt sind 34 Anleitungen präsentiert, die sich an ein heterogenes Publikum richten – für alle Altersstufen ist etwas dabei und auch für jeden Geldbeutel. So richten sich Tipps wie das Logo für den eigenen Laptop basteln oder Touchscreen-taugliche Handschuhe nähen sicherlich eher an junge „Hackerinnen“. Hingegen sind die Einführungen in das Programmieren mit Ruby sowie die vielen Tipps für ein aktives Eingreifen in den Diskurs im Internet schon eher etwas für ein erfahreneres Publikum. Jede Anleitung ist mit einer Angabe von Kosten versehen. Auch hier finden sich viele kostengünstige Angebote neben kostenintensiveren Projekten, zum Beispiel das Programmieren einer Katzenklappe. An vielen Stellen wird auf freie Open-Source-Software aufmerksam gemacht, was insbesondere für NutzerInnen mit kleinen Geldbeuteln hilfreich ist. Jedoch wird die materielle Grundausrüstung (Computer, Smartphone und teilweise auch Grafikprogramme) vielerorts vorausgesetzt, was die direkte Umsetzung der Angebote möglicherweise in der Praxis erschwert.

Besonders gelungen ist die Art und Weise, wie die einzelnen Anleitungen und Tipps präsentiert werden – meist selbst von einer Hackerin. In kleinen Interviews werden die Hackerinnen vorgestellt und erzählen, wie sie ihre ersten Schritte in der digitalen Welt gemacht haben. Viele von ihnen haben sich das Programmieren selbst beigebracht, was ein Plädoyer für Learning by Doing und außerschulisches und -universitäres Lernen ist. In kurzen Exkursen werden außerdem echte Vorbilder eingeführt, die von der Computertechnologie-Pionierin des viktorianischen Zeitalters Ada Lovelace (1815 – 1852) bis hin zur Erfinderin des Superklebers Sugru Jane Ní Dhulchaointigh reichen. So werden hartnäckige Vorurteile entkräftet, die Technik und Technologie in einer männlich dominierten Berufswelt verorten. Eine wirklich anregende Lektüre!

Foto: kallejipp/photocase.de