
„Im Schulalltag kontinuierlich fortbilden“
Ekkehard Winter über Lehrerfortbildung in Deutschland
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat für die Deutsche Telekom Stiftung 500 MINT-Lehrkräfte allgemeinbildender Schulen zum Thema professionelle Weiterentwicklung befragt – zu ihren Einstellungen, ihrem Fortbildungsverhalten, tatsächlichen und gewünschten Rahmenbedingungen. Im Gespräch erläutert Dr. Ekkehard Winter, Geschäftsführer der Telekom-Stiftung, warum die gestiegenen Fortbildungsaktivitäten von MINT-Lehrkräften zwar erfreulich, aber nicht ausreichend sind, und woran es in der Lehrerfortbildung in Deutschland hapert.
Die Umfrage zeigt: Deutschlands MINT-Lehrkräfte bilden sich fleißig fort. Manche sogar mit zehn und mehr Veranstaltungen in zwei Jahren. Haben Sie das erwartet?
Die große Aufgeschlossenheit und auch Aktivität sind in der Tat äußerst erfreulich. Vor zehn Jahren haben wir da noch ganz andere Erfahrungen gemacht. Auch dass die Schulleitungen ihre Lehrkräfte offenbar ausreichend freistellen, ist positiv. Leider stehen der Einsatz der Lehrkräfte und das, was sie aus den Fortbildungen dann wirklich mitnehmen, in keinem guten Verhältnis. 84 Prozent unserer Befragten haben bei ihrer letzten Fortbildung zwar konkrete Umsetzungstipps für den Unterricht bekommen – etwas, was Lehrkräften besonders wichtig ist. Wenn dann aber nur knapp ein Viertel dieses Wissen umfassend im Unterricht anwenden kann, dann muss man sich schon fragen: Wie kann das sein?
Geben die Umfrageergebnisse darauf eine Antwort?
Die Umfrage zeigt, dass Fortbildungen noch immer – bei allen positiven Veränderungen, die sich da vollziehen – zumeist singuläre Ereignisse sind: eintägig, ohne Anbindung ans Kollegium und fernab der Unterrichtspraxis. Dabei gibt es genügend wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, dass dies wenig zielführend ist. Solche einmaligen Impulse von außen gehen im Schulalltag leicht wieder unter. Nachhaltige Veränderungen sind da kaum möglich. Dabei soll Fortbildung doch genau das leisten: dass sich etwas weiterentwickelt. Wir legen unsere eigenen Angebote deshalb schon seit längerem anders an, etwa beim Deutschen Zentrum für Lehrerbildung Mathematik, dem DZLM: mit modularem Aufbau, Selbstlernphasen und Anregungen für die Lehrkräfte, wie sie mit ihren Kollegen am Thema weiterarbeiten können.
Was sind die Erfolgsfaktoren gelingender professioneller Weiterentwicklung?
Zeit und Zusammenarbeit – diese Aspekte sind zentral: Es kommt nachweislich darauf an, dass sich die Lehrkräfte über längere Zeit intensiv mit Fortbildungsthemen auseinandersetzen und dass sie dies im Team tun, orientiert an den konkreten Fragen und Herausforderungen vor Ort. Statt vereinzelte externe Seminare zu besuchen, müssten Lehrkräfte sich in ihrem Alltag kontinuierlich fortbilden. Am besten in sogenannten professionellen Lerngemeinschaften. Hierbei besuchen sie sich etwa gegenseitig im Unterricht und beobachten dabei das Lernen der Schüler, reflektieren in regelmäßigen Treffen die Lernangebote und ihre Effekte und entwickeln gemeinsam neue Ideen für die Praxis. Idealerweise holen sich die Lehrkräfte auch externes Expertenwissen hinzu.
Ist das nicht vielerorts schon Realität? 90 Prozent der MINT-Lehrkräfte in Ihrer Umfrage halten eine gemeinsame Unterrichtsentwicklung für sinnvoll. Und 68 Prozent geben sogar an, mit Kollegen zusammenzuarbeiten.
Fast genauso viele sagen aber auch, dass ihnen für Zusammenarbeit im Unterrichtsalltag oft die Zeit fehle. Auch in der Studie „Lehrerkooperation in Deutschland“, die die Telekom-Stiftung im letzten Jahr gemeinsam mit anderen Stiftungen durchgeführt hat, zeigten sich über 90 Prozent der befragten Lehrkräfte aufgeschlossen gegenüber einer Zusammenarbeit mit Kollegen. Tatsächlich bedeutet das aber bei den meisten nur, dass sie zum Beispiel Unterrichtsmaterialien austauschen, über Schülerleistungen sprechen oder sich wegen Vertretungsstunden abstimmen. Je aufwändiger die Form der Zusammenarbeit aber, desto seltener wird sie auch praktiziert, etwa der Unterricht im Team, Hospitationen oder kollegiales Feedback. Aber es stimmt schon: Das Bewusstsein dafür, wie Weiterentwicklung funktionieren sollte, ist bei vielen MINT-Lehrkräften offenbar vorhanden. Und ein Wille zur Weiterbildung auch. Den gilt es sinnvoll zu unterstützen.
Sie fordern mehr Verbindlichkeit. Braucht es trotz der hohen Fortbildungsbeteiligung eine Verpflichtung dazu?
Es mag paradox klingen: nicht trotz, sondern gerade deshalb. Es geht dabei um die Signalwirkung: Wie wird Fortbildung von denjenigen wertgeschätzt und unterstützt, die die Rahmenbedingungen festlegen – ob auf Landesebene oder in der Schulleitung? Es geht um eine Haltung aller Beteiligten. Um eine neue Fortbildungskultur, in der die professionelle Weiterentwicklung jeder einzelnen Lehrkraft Teil der Schul- und Unterrichtsentwicklung ist. Schulleitungen sollten Personalentwicklung als ihre zentrale Aufgabe begreifen und die Fortbildung ihres Kollegiums tatkräftig unterstützen. Das bedeutet vor allem: Freiraum geben, in dem echte Zusammenarbeit möglich ist.
Foto: Deutsche Telekom Stiftung