
„Im Arbeitsleben unverzichtbar“
Stiftungs-Geschäftsführer Dr. Ekkehard Winter über die Rolle von Zukunftskompetenzen in der Bildung und das Engagement der Telekom-Stiftung für den OECD-Lernkompass 2030
Herr Winter, die Welt verändert sich rasend schnell. Wissen, das heute in der Schule vermittelt wird, könnte in zehn Jahren schon völlig überholt sein. Wie kann es trotzdem gelingen, junge Menschen auf das Leben im 21. Jahrhundert vorzubereiten?
Dr. Ekkehard Winter: Die Vermittlung von fachlichem Wissen in der Schule bleibt dafür natürlich ein zentraler Baustein. Und es ist ja beileibe auch nicht so, dass sämtliches Wissen heute in kürzester Zeit veralten würde. Gerade die MINT-Fächern sind voll von Erkenntnissen und Gesetzmäßigkeiten, die die Zeit überdauert haben, quasi unumstößlich sind. Klar ist aber auch, dass ständig neues Wissen hinzukommt, sich das gesamte Menschheitswissen in unserer vernetzten Welt mittlerweile alle paar Jahre vervielfacht. Umso wichtiger finde ich, dass wir Kindern und Jugendlichen in der Schule beibringen, wie sie sich dieses neue Wissen selbst aneignen können. Sie sollten beispielsweise lernen, wie man richtig im Internet recherchiert und Quellen kritisch hinterfragt, um aus der schier unendlichen Datenflut auch tatsächlich diejenigen Informationen herausfiltern zu können, die ihnen nützen. Welche Herausforderung das bedeutet, hat ja die Pandemie eindrücklich gezeigt.
Sie spielen auf die sogenannten 21st Century Skills an …
Winter: Genau. Dazu zählt neben kritischem Denken und Quellenkompetenz zum Beispiel auch der kundige Umgang mit digitalen Medien und die Fähigkeit, sich selbst zu organisieren. Beides wurde im Distanzunterricht während Corona plötzlich noch viel wichtiger als zuvor schon. Daraus sollte Schule lernen und die überfachlichen Kompetenzen künftig stärker fördern. Nicht grundlos räumt ihnen ja auch die OECD in ihrem „Learning Compass 2030“, einer Vision für das Lernen der Zukunft, hohe Relevanz ein. Im Arbeitsleben sind diese Skills ohnehin heute unverzichtbar, das wird ihnen jeder Personaler bestätigen. Hier ist aber nicht allein Schule gefordert, denn Lernen findet ja an ganz verschiedenen Orten statt: in Vereinen und Jugendhäusern, in Museen und Bibliotheken, in Schülerlaboren, Maker-Spaces und nicht zuletzt in der Familie. All diese Orte – wir sprechen von einem Bildungs-Ökosystem – können und sollen dazu beitragen, junge Menschen kompetent für das Leben im digital geprägten 21. Jahrhundert zu machen.
Wie lassen sich überfachliche Kompetenzen denn konkret vermitteln?
Winter: Am besten mit Bezug zum Lerngegenstand, das heißt, zu den jeweiligen Domänen, den Fachdisziplinen. Im luftleeren Raum machen die 21st Century Skills ja keinen Sinn, das wäre wie Stricken ohne Wolle. Bei der Telekom-Stiftung unterstützen wir deshalb auch pädagogische Ansätze wie Deeper Learning und Design Thinking, die die Vermittlung von Fachwissen, interdisziplinären Zusammenhängen und überfachlichen Kompetenzen miteinander verzahnen wie ein Reißverschluss: Die Jugendlichen bekommen dort einen intensiven fachlichen Impuls und werden anschließend selbst aktiv; sie tun sich in Gruppen zusammen, brainstormen Lösungsansätze für ein konkretes Problem, recherchieren im Netz oder gestalten Prototypen am 3-D-Drucker, drehen Erklärfilme mit dem Smartphone oder entwickeln eine PowerPoint-Präsentation. Am Ende des Tages müssen sie sich dann mit ihren Arbeitsergebnissen vor den anderen Gruppen behaupten. Da kommt ganz vieles zusammen, was später im Berufsleben von ihnen gefordert werden wird.
Sie sprachen bereits den „OECD Learning Compass 2030“ an. Die Telekom-Stiftung hat ihn gemeinsam mit Partnern ins Deutsche übersetzt. Worum geht es in dem Konzept konkret?
Winter: Der Lernkompass bietet einen Überblick über die Kompetenzen, die junge Menschen für eine erfolgreiche Entwicklung im 21. Jahrhundert benötigen. Im Zentrum steht der Gedanke, dass sie selbst Verantwortung für ihr Lernen übernehmen und dadurch nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch die Welt um sie herum positiv beeinflussen. Wichtig dabei ist, dass das Konzept erst einmal nur einen Rahmen liefern soll. Es basiert ja auf einem jahrelangen Arbeitsprozess, in den hunderte Akteure aus allen OECD-Staaten involviert waren. Die konkrete Ausgestaltung muss nun in den einzelnen Ländern erfolgen. Für den deutschen Sprachraum haben wir mit der Übersetzung den ersten Schritt getan. Wir haben außerdem den Berliner Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth damit beauftragt, die Anschlussfähigkeit des Lernkompasses an die Bildungsdebatte und das Bildungssystem in Deutschland zu untersuchen. Seine Expertise liest sich überaus kritisch, teilweise sogar als Apologetik des bestehenden deutschen Bildungssystems; außerdem wird die Zäsur durch die digitale Transformation in allen Lebens- und Arbeitsbereichen und die damit einhergehenden Herausforderungen für die Bildung allenfalls gestreift, obwohl sie Anlass für den Lernkompass war. Die Expertise bietet gleichwohl aus meiner Sicht viele gute Ansätze, wo das Konzept konkretisiert werden muss und wie es an unsere hiesigen Voraussetzungen angepasst werden kann. Ich würde mich freuen, wenn sich nun möglichst viele Bildungseinrichtungen und -akteure am weiteren Diskussionsprozess beteiligten. Die deutsche Übersetzung des Lernkompass ist dafür wie gesagt Anfangs-, nicht Endpunkt.
--
Die deutsche Übersetzung des OECD Learning Compass 2030 ist ein Kooperationsprojekt von Bertelsmann Stiftung, Deutsche Telekom Stiftung, Education Y e.V., Global Goals Curriculum e.V. und Siemens Stiftung.
Die Expertise von Heinz-Elmar Tenorth zur Anschlussfähigkeit des Lernkompasses an die deutsche Debatte über Bildung und das Bildungssystem wurde von Bertelsmann Stiftung, Deutsche Telekom Stiftung und Siemens Stiftung beauftragt.
Im Blog der Bertelsmann Stiftung nimmt Heinz-Elmar Tenorth im Interview Stellung zum Thema Schlüsselkompetenzen und zum Lernkompass.
Foto: Deutsche Telekom Stiftung