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Ilayda Doghan

„Es reicht nicht aus, nur nachzubessern.“

Was läuft aktuell gut beim digitalen Lernen und was muss besser werden? Sechs Experten, sechs Meinungen.

 

ILAYDA DOGAN, VORSTANDSMITGLIED DER LANDESSCHÜLERVERTRETUNG IN NORDRHEIN-WESTFALEN (FOTO OBEN)

„Gut ist, dass der digitale Unterricht inzwischen an vielen Schulen funktioniert. In NRW läuft das über die landeseigene Plattform Logineo. An meiner Schule laden wir dort auch weiterhin Unterrichtsmaterial hoch. Außerdem kann man die Lehrkräfte darüber erreichen, was echt super ist. Früher hatten wir außerhalb der Schule keine Möglichkeit, sie zu kontaktieren. Ganz viele Schüler benutzen bei uns nur noch digitale Geräte wie Tablets und Laptops, das spart Papier. Was besser werden muss? Zum einen sind noch immer nicht alle Schulen ausreichend mit Geräten und WLAN ausgestattet. Zum anderen muss man, wenn man neue Technologien einführt, natürlich auch die Lehrkräfte mitnehmen. Oft wird etwas angeschafft, aber dann doch nicht eingesetzt, weil sie nicht wissen, wie es funktioniert. Wichtig finde ich auch, dass man die Ergebnisse des digitalen Unterrichts nicht so bewertet wie den Präsenzunterricht, denn der Erfolg hängt von vielen Faktoren ab: Jemand, der zu Hause kein eigenes Endgerät und keine stabile WLAN-Verbindung hat oder sich ein Zimmer teilen muss, kann nicht so effektiv am Onlineunterricht teilnehmen. Das muss berücksichtigt werden. Und auch die seelische Gesundheit ist wichtig. Nach dem letzten Lockdown ist darauf in den Schulen zu wenig Rücksicht genommen worden. Als alle wieder im Präsenzunterricht waren, wurde versucht, möglichst schnell noch den restlichen Stoff zu vermitteln, und dann ging es auch schon in die ersten Klausuren.“

Ilayda Dogan aus Werdohl im Sauerland ist 19 Jahre alt und Mitglied des zehnköpfigen Vorstandes der Landesschülervertretung Nordrhein-Westfalen. Das Gremium vertritt die Interessen der rund 2,3 Millionen Schüler im Bundesland. Ilayda Dogan besucht ein Gymnasium und macht 2022 ihr Abitur. Danach möchte sie Jura oder Medizin studieren.

 

Catarina KatzerCATARINA KATZER, SOZIALPSYCHOLOGIN

„Ich finde erschreckend, wie schlecht das digitale Lernen wäh­rend der Corona-Zeit vielerorts umgesetzt wurde. Zum einen fehlte ein einheitliches Konzept für den Unterricht. Jede Lehrkraft hat es anders gehandhabt: Von der einen bekamen die Kinder Mails, mit der anderen durften sie chatten, dann wurde eine Stunde online ge­streamt … Dieses digitale Durch­einander überforderte viele Schüler. Auch erhöhte das Lernen zu Hause die Stressfaktoren, denn die fehlende räumliche Trennung von Privatheit, Freizeit und schulischem Lernen ist eine kognitive Herausforderung. Auch hat sich gezeigt, dass rein digitales Kommunizieren negative Auswirkungen auf Psyche, Gesundheit und Verhalten haben kann. Darum ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche lernen, mit ihrem digitalen Leben umzugehen. Wir brauchen deshalb neue Lerninhalte und Fächerkombinationen. Und wir müssen uns stärker mit den psychischen Auswirkungen von digitalen Tools auseinandersetzen und die Ergebnisse in die Pädagogik hineintragen. Welche Regeln braucht es, um wirklich gut digital lernen und arbeiten zu können und dabei psychisch gesund zu bleiben? Auf diese Fragen müssen wir Antworten finden.“

Catarina Katzer ist promovierte Volkswirtin, Soziologin und Cyberpsychologin. Sie gilt als internationale Expertin für die fortschreitende Vernetzung von Internettechnologie und künstlicher Intelligenz mit Individuum und Gesellschaft sowie deren Auswirkungen. Sie ist Mitglied im Kuratorium der Telekom-Stiftung, lebt und arbeitet 
in Köln.

 

Sven Gabor JanszkySVEN GÁBOR JÁNSZKY, ZUKUNFTSFORSCHER

„Das digitale Lernen steckt noch in den Kinderschuhen. Mit einem Mausklick könnten wir zum Beispiel die besten Spezialisten für jedes Thema vor Augen haben, das ist ein Schatz, den keine Generation vor uns hatte. Der Status quo ist jedoch, dass wir unsere klassischen Bildungsformate weiternutzen und ab und zu mal ein Tablet in die Hand nehmen. Die Zukunft wird anders aussehen, denn der Wandel, den wir schon aus der Wirtschaft kennen, wird auch den Bildungsbereich erfassen. So wie Onlinehändler prognostizieren, was ich in zwei Tagen kaufen will, kann man mit ein bisschen Datenanalyse messen, welche Kompetenzen ich in zwei Monaten oder zwei Jahren brauchen werde, und mir auf dieser Basis ein individuelles Bildungsangebot machen. Und in den Schulen werden digitale Technologien den Unterricht nachhaltig verändern. Es ist zum Beispiel denkbar, dass jeder Schüler eine individuelle App auf dem eigenen Gerät hat, die analysiert, wo dieses Kind gut mitkommt, wo es Aufgaben abbricht oder langsamer schreibt. Das wird zu einer individuelleren Begleitung von Lernprozessen führen, denn die Lehrkräfte werden in Echtzeit Informationen über die Bedürfnisse ihrer Schüler erhalten.“

Sven Gábor Jánszky ist Chairman des größten wissenschaftlichen Zukunftsforschungsinstituts Europas 2b AHEAD. Als Zukunftsforscher berät er Unternehmen und Einzelpersonen, gibt Workshops und tritt als Speaker auf Zukunftsevents und Strategietagungen der deutschen Wirtschaft auf. Jánszky lebt in der Nähe von Leipzig.

 

Mario MosbacherMARIO MOSBACHER, LEHRER

„Im Vergleich zu anderen Schulen waren wir an unserer Schule im digitalen Denken schon sehr weit: Schnelles WLAN und eine sehr gute technische Ausstattung waren vor der Pandemie bereits vorhanden. Einige wenige Lehrkräfte haben auch bereits die Lernplattform Moodle genutzt. Ich würde sagen: Wir waren technisiert, aber noch nicht digitalisiert. Aus der Zeit des Distanzunterrichts haben wir einige learnings mitgenommen und uns neu aufgestellt. So nutzen wir die digitale Lernplattform jetzt auch im Präsenzunterricht, was das kollaborative Arbeiten ungemein fördert. Die guten, aber auch die eher stillen Schüler haben im Homeschooling profitiert und wir stellen uns die Frage, wie wir die neu entstandenen Freiräume für individuelles Lernen auch in Zukunft sicherstellen können. Unsere Schüler wechseln fließend zwischen der analogen und der digitalen Welt hin und her. In diesem Wechsel liegt aus meiner Sicht auch die Zukunft des Lernens; dafür brauchen wir neue Konzepte. Und auch die Schulen müssen sich weiterentwickeln, und zwar in einem Tempo, das gesund ist. Im besten Fall stellt die Politik zusätzliche personelle Ressourcen zur Verfügung, so dass die Lehrkräfte sich nicht in ihrer Freizeit mit diesen Fragen befassen müssen.“

Mario Mosbacher ist seit 2013 Schulleiter am Fürstenberg-Gymnasium in Donaueschingen. Außerdem unterrichtet er die Fächer Mathematik und Physik.

 

Birgit EickelmannBIRGIT EICKELMANN, SCHULFORSCHERIN

„In jüngster Zeit sind viele Investitionsprogram­me angelaufen. Das ist sehr erfreulich, denn eine moderne Ausstattung der Schulen ist auf dem Weg in die Zukunft zentral. Sie allein reicht aber für wirklich nachhaltige Entwicklungen längst nicht aus. Mir sind hier drei Punkte wichtig: Erstens müssen wir lernen, stärker die Perspektiven der Kinder und Jugendlichen auf eine zukunftsfähige Bildung in unsere Planungen einzubeziehen. Zweitens: Wenn wir über digitales Lernen sprechen, müssen wir sowohl auf Schulsystemebene als auch auf Einzelschul­ebene einen dynamischen Konsens darüber finden, was guten Unterricht in einer Kultur der Digitalität ausmacht. Als Rahmenbedingung gehört hierzu übrigens auch ein moderner ,Arbeitsplatz Schule'. Und drittens: Es reicht nicht mehr aus, immer nur nachzubessern und an einzelnen Stellschrauben zu drehen. Es ist nun an der Zeit, den Blick konsequent und ganzheitlich in die Zukunft zu richten: Wo sehen wir Schule in fünf oder in zehn ­Jahren – und was wollen wir überhaupt er­reichen? Anstehende Entwicklungen sollten dabei nicht nur von technologischen Inno­vationen, sondern vor allem auch von päda­gogischen Visionen getragen werden.“

Birgit Eickelmann ist seit 2012 Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn. Aus dem Schuldienst wechselte sie 2003 zurück an die Universität und erforscht seitdem die Entwicklung von Schulen und Schulsystemen. In Deutschland kennt man sie vor allem als Leiterin der Studie ICILS, die die computer- und informationsbezogenen ­Kom­petenzen von Schülern misst.

 

Nina TollerNINA TOLLER, LEHRERIN UND BILDUNGSBLOGGERIN

Es gibt einiges, was aktuell beim digitalen Lernen schon gut läuft: Da ist die Offenheit der Beteiligten zu nennen und vor allem die Lernmotivation, die durch den Einsatz von digitalen Medien bei den Schülern erreicht werden kann. Wenn ich Workshops für Lehrkräfte oder Lehramtsstudierende gebe, höre ich leider oft, dass es vielen Schulen noch immer an der Ausstattung fehlt. Ein anderes Problem: Viele Lehrkräfte scheuen den Einsatz von digitaler Technik, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen. Hinzu kommt eine große Unsicherheit hinsichtlich des Datenschutzes. Hier brauchen wir mehr Weiterbildungen. Und auch in der Ausbildung, sei es während des Studiums oder des Referendariats, kommt das Thema leider noch immer viel zu kurz. Im ­Moment sind es vor allem Schulbuchverlage und private Initiativen, die Seminarangebote machen. Viele motivierte Lehrkräfte vernetzen sich auch bei Twitter oder Instagram unter den Hashtags #twitterlehrerzimmer und #instalehrerzimmer und coachen sich in Mikrofortbildungen gegenseitig. Wie man die Technik richtig benutzt, kann jeder für sich selbst herausfinden. Viel wichtiger sind aus meiner Sicht die richtigen didaktischen und pädagogischen Konzepte. Leider passiert da an den Hochschulen noch viel zu wenig. 

Nina Toller ist Lehrerin für Englisch, Geschichte, Informatik und Latein an einem Gymnasium in Duisburg und setzt in ihrem Unterricht schon lange digitale Formate ein. Auf tollerunterricht.com bloggt sie über digitales Lernen und Lehren, außerdem gibt sie ihr Wissen in Workshops an andere Lehrkräfte weiter.

 

Der Artikel ist in Ausgabe Nr. 10 unseres Bildungsmagazins „sonar“ zum Thema „Digitales Lernen“ erschienen.

 

Fotos: Carsten Behler, Jörg Gläscher, Privat, Universität Paderborn