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Mädchen schaut besorgt auf ihr Smartphone

„Druck auf Kinder und Jugendliche steigt“

Interview mit Dr. Catarina Katzer anlässlich des UNESCO-Welttags gegen Gewalt und Mobbing an Schulen.

Die UNESCO ruft an jedem ersten Donnerstag im November dazu auf, sich gegen Gewalt und Mobbing an Schulen einzusetzen. In Zeiten zunehmender Digitalisierung geht es dabei auch um Cybermobbing. Wir haben aus diesem Anlass mit Dr. Catarina Katzer, Soziologin und Expertin für Cyberpsychologie, gesprochen.

Frau Dr. Katzer, Sie forschen seit vielen Jahren zum Thema Cybermobbing. Wie sinnvoll ist ein solcher Gedenktag?

Katzer: Sehr sinnvoll, denn das Thema verdient alle Aufmerksamkeit, die wir bekommen können. Allerdings sollten wir meiner Meinung nach nicht nur einmal im Jahr explizit über das Thema sprechen. Digitale Gewalt an Schulen – nicht nur unter Kindern und Jugendlichen, sondern vermehrt auch gegen Lehrkräfte – gibt es jeden Tag. Da wird beleidigt, verleumdet, gelogen, ausgegrenzt. Es werden kompromittierende Fotos und Videos versendet. Der Umgang miteinander verroht. Aber das ist kein Wunder, denn der vielfach schlechte Umgangston und die Respektlosigkeit, die allgemein in den sozialen Netzwerken zu beobachten sind, bleiben noch zu oft ohne Folgen. Das lernen junge Menschen früh. Dagegen müssen wir deutlich mehr tun. Dabei können wir vom Ausland lernen, zum Beispiel von den Niederlanden. Dort gibt ein sehr erfolgreiches Präventionsprogramm an Schulen – solche Aktivitäten sind aufwändig, aber hoch wirkungsvoll.

Wie sieht es in Deutschland aus? Gibt es Hinweise darauf, dass die Corona-bedingten Schulschließungen Einfluss auf das Thema haben?Portrait Dr. Catarina Katzer

Katzer: Insgesamt lässt sich feststellen: Cybermobbing ist in Deutschland kein Randproblem. Zwischen 13 und 19 Prozent aller 10- bis 18-Jährigen kommen mit dem Thema in Kontakt. Das sind mehr als 1,5 Millionen junge Menschen. Grundsätzlich beobachten wir seit einiger Zeit, dass die digitale Gewalt vor allem bei sozioökonomisch benachteiligten Kindern und Jugendlichen zunimmt. Das gilt übrigens nicht nur für Deutschland, sondern international. Eine Ausnahme bilden die Niederlande wie schon erwähnt. Wir haben auch Hinweise darauf, dass die Täterinnen und Täter immer jünger werden, teilweise noch in die Grundschule gehen. Das hängt natürlich unter anderem auch damit zusammen, dass immer mehr Kinder und Jugendliche über Smartphones verfügen und diese im Zweifelsfall wie eine Waffe nutzen. Im Ausland haben erste Studien zum Thema Cybermobbing in Coronazeiten begonnen, aber naturgemäß ist die Erkenntnislage noch dünn. Vermutet wird aber, dass Cybermobbing zunimmt, je länger die Pandemie dauert. Wir sehen jetzt schon aus Befragungen und Untersuchungen, dass der psychische Druck auf Kinder und Jugendliche deutlich steigt.

Woran erkennt man das und wozu führt das Ihrer Meinung nach?

Katzer: Verschiedene Befragungen von Kindern und Jugendlichen zeigen, dass ihnen der Kontakt zu den Mitschülerinnen und Mitschülern, auch zu den Lehrkräften fehlt. Dies gilt vor allem für die Jüngeren. Junge Menschen sind zwar heute sehr digital unterwegs, aber wenn sie nur noch auf digitale Kontakte und Umgebungen angewiesen sind, reicht ihnen das nicht. Ich finde das vor allem für die Weiterentwicklung von Schule sehr interessant. Ausschließlich digitales Lehren und Lernen wird aus meiner Sicht nicht funktionieren. Das gilt übrigens auch für die Hochschulen. Physischer Kontakt ist absolut wichtig. Hier brauchen wir evaluierte Konzepte für gute hybride Lösungen.

Gibt es neben den erwähnten Präventionsprogrammen für Schulen weitere sinnvolle Maßnahmen – Cybermobbing trifft ja nicht unbedingt nur Kinder und Jugendliche?

Katzer: Richtig, aber hier richten Beleidigungen oder Ausgrenzung in kritischen Lebensphasen wie der Pubertät zum Teil schlimme, dauerhafte Schäden an. Für sehr sinnvoll halte ich daher die geplanten Neuerungen am Jugendschutzgesetz, die bessere Meldemöglichkeiten für Cybermobbing vorsehen. Ich wünsche mir darüber hinaus mehr Mitwirkung der Betreiber von sozialen Netzwerken, zum Beispiel durch SOS-Buttons. Die kann der Nutzer betätigen, wenn er beispielsweise beleidigt oder sexuell belästigt wird. Dann wird unmittelbar Kontakt zu einer Beratung hergestellt, die sofort professionell Hilfe leistet. Das würde tatsächlich allen nutzen – nicht nur den Kindern und Jugendlichen.

Dr. Catarina Katzer ist seit 2020 Mitglied im Kuratorium der Stiftung. Sie leitet das Institut für Cyberpsychologie und Medienethik Köln und gehört international zu den führenden Experten in den Bereich Cybermobbing und Cyberpsychologie.

Foto: Daisy-Daisy/iStock.com