
„Die Tränen im Netz sind echt“
Was tun gegen Cybermobbing unter Kindern und Jugendlichen?
„Mobben ist uncool, helfen ist cool", sagt der 12-jährige Lukas. Er besucht die Realschule in Schwerte (Nordrhein-Westfalen) und hat ein Cybermobbing-Telefon eingerichtet. „Mit welchem Messer sollen wir sie abstechen?" - solche und ähnliche Sätze wurden über ein Mädchen in seiner Klasse per WhatsApp und SMS verbreitet. Als Lukas sich für seine Mitschülerin einsetzte, geriet auch er ins Visier der Täter.
Hilfe fand der Realschüler unter anderem bei der Cyberpsychologin Dr. Catarina Katzer. Mit ihr verfasste er auch einen offenen Brief an die NRW-Schulministerin, in dem er forderte, Medienerziehung und den Umgang mit Cybermobbing in den Lehrplan aufzunehmen. Ein dringender Schritt, sagt Katzer, die das Phänomen des Mobbens im Netz seit Jahren erforscht und europaweit als Spezialistin für Prävention gefragt ist.
1,4 Millionen Schüler sind Schätzungen zufolge in Deutschland von Cybermobbing betroffen. „Was wir aus dem echten Leben kennen, findet verstärkt auch im Netz statt", sagt Catarina Katzer. Phänomene wie Cybermobbing seien mittlerweile fast alltäglich in der Online-Kommunikation der Jugendlichen. „Andere zu ärgern, zu beleidigen und zu verleumden, rumzupöbeln und die Kommunikation zu stören - alles das gilt als normal."
Interessant ist dabei der Blick auf die Täter: Jeder fünfte (20,4 Prozent) war zuvor selber schon einmal Opfer von Cybermobbing. Als häufigste Gründe für die eigenen Taten wir genannt, dass das Opfer „es verdient" (45 Prozent) und dass der Täter „Ärger" mit dem Opfer habe (43 Prozent). Aus der Tätersicht sei die Hemmschwelle, eine kriminelle Handlung auszuüben, online viel niedriger als offline, sagt Catarina Katzer.
Eine Perspektive, die auch Lukas bestätigt: „Cybermobbing ist nicht wie Pausenhofmobbing", sagt der 12-Jährige, „das findet auf dem Pausenhof in der Schule statt und endet, wenn man nach der Schule nach Hause geht." Vor dem Mobbing im Internet aber könne man nicht einfach weglaufen: „Es ist im Bus da, einfach überall, bei WhatsApp, auf Facebook, überall." Catarina Katzer sagt, dass die Empathie gegenüber den Opfern im Cyberspace viel geringer sei als in einer realen Situation in der Schule.
Viele Täter, das zeigen aktuelle Studien wie die von der Deutschen Telekom unterstützte Untersuchung „Cyberlife ll", entwickeln gar kein Gefühl mehr für das eigene straffällige Verhalten im Netz. „Hinzu kommt noch ein neuer virtueller Voyeurismus: Man wird sehr schnell vom Zuschauer zum Dulder und Mittäter", sagt Catarina Katzer. Da spielten dann auch Motive wie Spaß und Entertainment eine Rolle - und eine Art Trophäenjagd: „Wer kennt das peinlichste, schlimmste, härteste Video, in dem beispielsweise ein Mitschüler verprügelt wird?"
Für viele Opfer ist diese Art von Mobbing schlimmer als eine Tat auf dem Schulhof. Cyberpsychologin Katzer spricht von „Endlosviktimisierung“, also einer Situation, in der die Geschädigten den Demütigungen und psychischen Verletzungen nicht mehr entkommen können: „Es gibt keinen Schutzraum mehr. Heute wird das Mobbing mit nach Hause genommen, die Täter kommen über PC und Netz direkt ins Kinderzimmer.“ Deshalb, sagt Catarina Katzer, sei ihr eine Feststellung sehr wichtig: „Die Tränen, die im Netz geweint werden, sind genauso echt wie die, die im realen Umfeld geweint werden.“
Für Uwe Leest, Vorstandsvorsitzender im Bündnis gegen Cybermobbing, ist klar, dass die Bildungsinstitutionen im Vorfeld aktiv werden müssen: „Schüler, Lehrende und Eltern müssen in der Schule gemeinsam Vorbild sein und Sozialkompetenz und menschliche Werte vermitteln.“
So gesehen, hat der 12-jährige Lukas aus Schwerte eigentlich alles richtig gemacht. „Sucht euch Hilfe“, rät er anderen Mobbingopfern. „Sprecht mit euren Eltern, mit guten Freunden oder mit Lehrern und dem Schulpsychologen.“ Und im besten Fall wird man noch, so wie Lukas, selbst in der Prävention aktiv.
Der Artikel ist in Ausgabe 2-17 unseres Bildungsmagazins „sonar“ erschienen. Autor des Textes ist Armin Himmelrath, freier Journalist mit den Schwerpunkten Bildung und Wissenschaft.
Autor: Armin Himmelrath / Fotos: privat / CLARKANDCOMPANY/ISTOCK.COM