
Die Chance meines Lebens
Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Bildung erzählen von Menschen und Momenten, die ihren Bildungsweg maßgeblich beeinflusst haben.
PETER GAYMANN
Künstler
Ich war elf Jahre alt, als ich die Chance meines Lebens bekam. Damals, 1961, besuchte ich eine Grundschule in Freiburg. Meine Leistungen waren top, meine Schreibschrift außergewöhnlich gut, meine Hefte ausgeschmückt mit Zeichnungen, Collagen und Fotos. Nein, ein Streber war ich nicht, es machte mir einfach nur Spaß. Dann fragte mich mein Lehrer, ob ich nicht aufs Gymnasium wechseln wolle. Unbedingt! Doch meine Eltern schüttelten den Kopf. „Hauptschule reicht“, hieß es. Noch nie hatte in meiner Familie jemand Abitur gemacht. All mein Betteln half nichts. Da ergriff mein Lehrer die Initiative und lud meine Eltern und mich zu sich nach Hause ein. Sie ließen sich überzeugen. Ein Wunder! Einzige Bemerkung: „Du musst es alleine schaffen. Wir können weder Englisch noch Mathematik.“ Ich habe das Abitur geschafft und Sozialpädagogik studiert. Dass ich dann Künstler werden wollte, versetzte meine Eltern erneut in Panik. Mein Credo: Das schaffe ich alleine! Recht hatte ich. Was wohl mein damaliger Lehrer dazu sagen würde? Ich jedenfalls bin ihm einfach nur dankbar.
Peter Gaymann (66) wurde mit Cartoons über Hühner berühmt, die regelmäßig in Zeitschriften erscheinen. Gaymann hat mittlerweile 75 Bücher veröffentlicht und arbeitet als freier Künstler in Köln.
KATJA JUNG
Studentin
Ich habe festgestellt, dass es im Leben immer wieder Chancen gibt. Man muss sie nur erkennen und zugreifen. Die wohl bedeutendste Chance auf meinem Bildungsweg war der Beitritt zu den Pfadfindern. Mit zwölf Jahren ging da für mich eine neue Welt auf, wir sind zusammen auf Fahrten und Lager gegangen und haben uns auch für andere Menschen engagiert. Meine eigene Gruppe habe ich bereits mit 15 Jahren geleitet. Damit hatte ich Verantwortung, musste alles organisieren, mich vernetzen. Ich durfte in die Rolle hineinwachsen. Das hat mich mutig und stark gemacht. Ich habe gelernt, im Team zu arbeiten, flexibel zu sein – und dass nicht immer alles perfekt sein muss, um zu funktionieren. Bei den Pfadfindern ist jeder Einzelne für die Gemeinschaft wichtig und es gab für mich dort viele Vorbilder. Das möchte ich später als Lehrerin unbedingt für meine Schüler sein, denn gute Vorbilder sind enorm wichtig.
Katja Jung (44) ist gelernte Tischlermeisterin, die sich mit 39 Jahren entschloss, Lehrerin zu werden. Seit 2014 ist sie Stipendiatin im Programm FundaMINT der Telekom-Stiftung.
UWE HÜCK
Konzernbetriebsratsvorsitzender Porsche AG
Jeder braucht in seinem Leben Mentoren, um seine Chancen zu ergreifen. Mein vielleicht wichtigster war mein Deutschlehrer, damals in der Sonderschule. Ich war ein Heimkind, zehn Jahre alt, wild und aggressiv. Immer mit dem Kopf durch die Wand. Dieser Lehrer war der Einzige, der mich mit Würde behandelt hat. Er hat mir beigebracht, dass man Bücher auch mal aufschlagen kann, statt sie durch die Gegend zu werfen. Und er hat mich an manchen Wochenenden aus dem Heim zu sich nach Hause eingeladen. Ich erinnere mich an seinen Garten, an einen Pflaumenbaum und an gemeinsame Essen mit der Familie. Zu diesem Mann habe ich Vertrauen gehabt. Er hat mir gezeigt, dass Bildung eine scharfe Waffe ist. Ich finde übrigens, dass Jugendliche heutzutage eine Menge draufhaben, wir müssen nur viel öfter den Kontakt zu ihnen suchen. Deshalb habe ich auch eine Lernstiftung gegründet, um benachteiligte Jugendliche zu fördern. Ich möchte, dass sie ihre Chance im Leben bekommen.
Uwe Hück (55) ist auch mehrmaliger Europameister im Thaiboxen, gelernter Autolackierer, Träger des Bundesverdienstkreuzes und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Porsche AG.
SUNITHAN JESUBALARASA
Abiturient und START-Stipendiat
Als ich 2012 nach Deutschland kam, war mein Leben so gut wie vorbei. Ich hatte im Bürgerkrieg meine Eltern und mein Zuhause verloren. Nun war ich allein in einem Land, dessen Sprache ich nicht beherrscht. Doch zum Glück gab es hier neue Wege für mich. Das verdanke ich zunächst meinen Pflegeeltern. Sie sorgten dafür, dass ich von der Haupt- auf eine Gesamtschule wechseln konnte. Inzwischen besuche ich die 12. Klasse und bereite mich aufs Abitur vor. Die zweite große Chance bot mir das START-Stipendium. Als Stipendiat darf ich regelmäßig an Seminaren teilnehmen, in denen es um spannende Themen wie Laser oder Navigationssysteme geht. Von START bekomme ich auch finanzielle Hilfe, lerne außerdem unterschiedliche Menschen kennen und erfahre viel über die Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland. Das Stipendium ermöglichte mir auch ein IT-Praktikum bei der Telekom. Mein Traum ist es, dort nach dem Abi ein duales Studium zu beginnen.
Sunithan Jesubalarasa (21) kam vor fünf Jahren als unbegleiteter Flüchtling von Sri Lanka nach Deutschland. Heute spricht der von der Telekom-Stiftung geförderte START-Stipendiat fließend Deutsch und strebt ein Informatik-Studium an.
EDELGARD BULMAHN
Bundesbildungsministerin a.D.
Bildung war für mich das Tor zu einer neuen Welt. Ich wuchs in einem Dorf in Nordrhein-Westfalen auf. Mein Vater war Binnenschiffer, meine Mutter Friseurin. Sie war sehr bildungsbewusst und wollte, dass ihre Töchter eine gute Ausbildung erhielten. Nach der Volksschule war daher die staatliche Handelsschule vorgesehen. Ich selbst hatte andere Pläne, wollte das Aufbaugymnasium besuchen. Mit dieser Schulart sollten die Bildungsreserven des ländlichen Raums aktiviert werden. Dies hat bei mir – und auch bei meiner Schwester – tatsächlich geklappt! Das Aufbaugymnasium legte den Grundstein für meinen weiteren Lebensweg und war die Chance meines Lebens. Nach dem Abitur habe ich zunächst ein Jahr in einem Kibbuz in Israel gearbeitet. Anschließend studierte ich Politikwissenschaft und Anglistik. Zu dieser Zeit profitierte ich vom BAföG, das unter Willy Brandt eingeführt worden war. Ohne diese Förderung wäre ein Studium für mich nur unter äußerst schwierigen Bedingungen möglich gewesen.
Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (66) ist Bundesbildungsministerin a. D. Heute wirkt sie unter anderem als stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Telekom-Stiftung.
STEFAN W. HELL
Nobelpreisträger
„Eine Hürde zu überwinden, die als unüberwindbar galt: Diese Chance motivierte mich als junger Physiker. Seit mehr als 100 Jahren war die Fachwelt überzeugt, dass Lichtmikroskope nicht schärfer werden konnten, als es die sogenannte Beugungsgrenze erlaubte. Ich aber hatte nach ersten Forschungen so ein Gefühl, dass da doch noch mehr geht. Ich wollte dem wissenschaftlichen Mainstream zeigen, dass er sich täuschte. Die Bedeutung, die meine Forschung einmal haben würde, war damals zweitrangig. Vor den wissenschaftlichen musste ich viele finanzielle Hürden überwinden. Weil ich nach der Promotion in Deutschland mit meiner Idee kein Labor bekam, ging ich zunächst einige Jahre nach Finnland und hangelte mich von einem Stipendium zum anderen. Wie eine Rettung empfand ich danach meine erste Fünf-Jahres-Stelle als Leiter einer Max-Planck-Forschungsgruppe. Hier konnte ich mich endlich voll der hochauflösenden Mikroskopie widmen – und am Ende tatsächlich alle bestehenden Hürden überwinden.“
Prof. Dr. Stefan W. Hell (54) ist Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. 2006 erhielt er den Deutschen Zukunftspreis, den Preis des Bundespräsidenten für Technik und Innovation, dem zahlreiche hochrangige Auszeichnungen folgten. 2014 wurde er für die Entwicklung superauflösender Fluoreszenzmikroskopie mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt.
Fotos (v. o.): Baschi Bender, privat, Ulrike Mick, Julia Unkel, Sascha Kreklau, Ansgar Pudenz/Deutscher Zukunftspreis