
Die Bessermacher
Sie sind jung, kreativ und geschäftstüchtig. Und sie haben sich in den Kopf gesetzt, etwas gegen die gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit zu unternehmen.
Wenn sich Jasmin Stein einmal im Monat mit den anderen Nachhaltigkeits-Botschaftern ihrer Schule trifft, werden Nägel mit Köpfen gemacht. Die Jugendlichen diskutieren dann die unterschiedlichsten Ideen, um das Leben an der Bonner Siebengebirgsschule umweltfreundlicher zu gestalten – und stimmen am Ende demokratisch darüber ab, was umgesetzt werden soll. „Das sind oft nur kleine Dinge. Zusammengenommen bewirken sie aber eine ganze Menge“, findet Jasmin. So beschloss die Gruppe zuletzt, dass am Schulkiosk keine Plastiktrinkhalme mehr mit den Getränken ausgegeben werden. Die Schüler zu selbstständig und nachhaltig handelnden Menschen erziehen – das ist schon lange das Credo der Förderschule. Dass der Plan aufgeht, beweist Jasmin.
BOTSCHAFTERIN FÜR MEHR NACHHALTIGKEIT
Die 16-Jährige arbeitet auch bei den 7Werkern mit, einer von insgesamt 13 Schülerfirmen der Schule. „Ich kann gut mit dem Hobel und dem Akkuschrauber umgehen. Und es macht mir Spaß, Pläne zu entwerfen und umzusetzen“, erzählt sie. Die 7Werker haben sich auf den Bau von Möbeln aus recyceltem Holz spezialisiert. Mit dem Verkaufserlös finanzieren sie größere Projekte. So wie die Photovoltaik-Anlage, die die Teenager vor einiger Zeit auf dem Schuldach errichteten. Daneben statteten sie alle Heizkörper mit smarten Thermostatköpfen aus und programmierten diese so clever, dass die Schule heute 15 Prozent Energie einspart. Letztes Jahr erhielten die 7Werker dafür den mit 10.000 Euro dotierten Deutschen Klimapreis. Genug Geld für weitere tolle Nachhaltigkeitsprojekte an der Siebengebirgsschule – findet auch Jasmin. „Das Thema ist mir wichtig“, sagt sie. „Deshalb will ich mich weiter engagieren.“
PLASTIKSAMMLER MIT HANG ZUM TÜFTELN
Die Welt vom Plastikmüll befreien, zumindest ein bisschen – das ist die Vision von Milan von dem Bussche, Gymnasiast aus Oppenheim. Mit seinem Stufenkameraden Paul Nehme hat der 16-Jährige in der Garage seines Elternhauses die Firma Qi-Tech gegründet. Die Geschäftsidee der Teenager: Sie sammeln Altplastik und recyceln es zu Handyhüllen, Schlüsselanhängern und neuerdings auch Gesichtsschutzvisieren aus dem 3-DDrucker. „Unser Herstellungsprozess ist komplett nachhaltig“, betont Milan. Die Plastikabfälle – leere Shampoo-Flaschen von Frisörgeschäften, Flaschendeckel, aber auch Industriemüll – trennen sie zunächst per Hand nach Kunststoffarten. Im Schredder wird das Material dann zu Granulat gehäckselt. „Erst haben wir das noch mit Gartenschere und Küchenmixer gemacht, aber das dauerte uns irgendwann zu lange.“ Ein sogenannter Extruder bringt das Granulat anschließend zum Schmelzen und spinnt daraus einen 1,75 Millimeter dünnen Kunststofffaden – fertig ist die „Tinte“ für den 3-D-Drucker.
Auf den Extruder, das Herzstück ihrer Firma, ist Milan besonders stolz. Die Schüler haben ihn selbst konstruiert, fast ausschließlich aus Schrottplatzteilen. Nur der Motor, der stammt aus dem höhenverstellbaren Bett von Milans Mutter. „Während sie auf Dienstreise war, habe ich ihn heimlich ausgebaut“, erzählt er schmunzelnd. „Zum Glück hat sie es erst gemerkt, als die Produktion schon in vollem Gange war.“ Wie gut der Extruder funktioniert, sprach sich anschließend schnell herum. Nachdem Milan ein Video des Geräts auf Instagram gepostet hatte, gingen sogar Anfragen aus Indien bei ihm ein. Klar, dass Qi-Tech sofort einen zweiten Geschäftszweig aufmachte. „Wir bauen und verkaufen gerade eine Maschine nach der anderen“, erzählt Milan. „Wäre doch cool, wenn eines Tages überall auf der Welt unsere Extruder stünden und Plastikmüll zu 3-D-Druckfilament recyceln würden.“
KÄMPFER GEGEN DIGITALEN KUMMER
Mobbing ist an Schulen ein großes Problem, doch nur jeder dritte betroffene Schüler vertraut sich einem Lehrer oder Schulsozialarbeiter an. Daran will Julius de Gruyter (18), Abiturient aus Berlin, etwas ändern. Gemeinsam mit seinen Mitschülern Kai Lanz und Jan Wilhelm hat er die Smartphone-App „exclamo“ entwickelt. Mir ihr können sich Jugendliche, die ausgegrenzt oder diskriminiert werden, per Textnachricht an eine Vertrauensperson an ihrer Schule wenden – wahlweise auch anonym. „Telefonberatungen wie die ‚Nummer gegen Kummer‘ leisten bei Mobbing gute Erste Hilfe, das konkrete Problem können sie aber nie lösen. Das schafft nur ein direkter Ansprechpartner an der Schule“, sagt Julius. Doch einen Lehrer persönlich um Hilfe zu bitten, erfordere Mut. „Unsere App senkt die Hemmschwelle dafür.“
Mit ihrem Konzept gewannen die Berliner noch zu Schulzeiten bereits zwei Gründerwettbewerbe. Inzwischen haben sie das Abi in der Tasche – und setzen voll auf ihre Business-Idee. Vor Kurzem haben sie zusätzlich einen Krisenchat-Dienst gestartet, der Jugendlichen, die während der Corona-Schulschließungen zu Hause Gewalterfahrungen machen, den unkomplizierten Kontakt zu professionellen Krisenberatern ermöglicht. „Andere machen nach der Schule erst mal ein Gap-Year in Australien oder gehen direkt an die Uni – wir haben ein Start-up gegründet. Studieren können wir später ja immer noch“, so Julius, der schon immer ein engagierter und kreativer Typ war. Und ein Verkaufstalent: Als Schulsprecher ließ er einmal Pullover mit dem Schullogo produzieren und nahm damit 25.000 Euro für die SV-Kasse ein. „Bevor ich nur auf dem Bett liege und Netflix gucke, suche ich mir lieber eine Aufgabe und bin produktiv.“
Die drei Bessermacher-Portraits sind Teil der aktuellen Ausgabe unseres Bildungsmagazins sonar.
In unseren 10 Forderungen für ein Bildungs-Ökosystems setzen wir uns dafür ein, jungen Menschen wie Jasmin, Milan und Julius mehr Verantwortung für ihr Lernen zu übertragen.
Fotos: Sascha Kreklau