
Der dritte Ort ist weiter hip
Bibliotheken folgen digitalen Trends
Mit leuchtenden Augen und etwas starren Bewegungen stapft der wohl niedlichste Neuzugang der Stadtbibliothek Köln an Bücherregalen vorbei. Gestatten: Nao, ein humanoider Roboter, knapp 60 Zentimeter groß. Betreut wird Nao von Lisa Reiche, die in der Stadtbibliothek ein freiwilliges soziales Jahr absolviert und sich schon in der Schule mit Programmieren beschäftigt hat. „Ich führe den Roboter vor und mache Programmier-Workshops mit Bibliotheksbesuchern“, erklärt die 17-Jährige. „An so einen Roboter kommt man sonst schwer ran. Dass es hier in Köln einen gibt, der öffentlich zugänglich ist, zieht viele Informatik-Interessierte an, auch Kinder und Jugendliche.“
Die Stadtbibliothek Köln ist in Sachen IT und Digitalisierung tatsächlich ein Vorreiter in Deutschland, was ihr 2015 die Auszeichnung als „Bibliothek des Jahres“ eingebracht hat. Schon 2013 machten die Kölner Schlagzeilen, weil sie als erste öffentliche Institution hierzulande einen 3-D-Drucker für ihre Besucher anschafften. Dass IT und Bibliothek ganz gut zusammenpassen, beweist Stammkunde Jan Fromm. Der 16-Jährige besucht die elfte Klasse und nutzt den 3-D-Drucker mehrmals in der Woche. „Ich habe mir damit Bauteile für einen eigenen Roboter hergestellt“, erklärt der Gymnasiast. „Es ist für mich mehr als nur Spaß, denn ich lerne etwas dabei.“ Die Bücherregale durchstöbert er trotzdem. Neben Fachbüchern übers Programmieren hat er gerade noch ein gutes Dutzend anderer Schmöker ausgeliehen. Auch seine Mitschüler nutzen die Bibliothek regelmäßig: „Viele kommen in den Freistunden hierher.“

Während sich die Größeren im „Makerspace“ aufhalten, der Etage mit den technischen Gimmicks, darunter auch Virtual-Reality-Brillen, gibt es für die Kids im Untergeschoss Spielkonsolen. Hinzu kommen entsprechende medienpädagogische Begleitprogramme und VR-Lernangebote für Kinder. So kommen wirklich alle Besucher auf ihre digitalen Kosten. Den technischen Turnaround hat die damals neue Direktorin 2008 geschafft. „Wir schauen jedes Jahr nach den wichtigsten Trends und prüfen, inwieweit sie für Bibliotheken relevant sind oder einen wichtigen Fortschritt bedeuten wie etwa 3-D-Druck oder Robotics“, verdeutlicht Dr. Hannelore Vogt. „Wir möchten Besuchern die Chance geben, diese Technologien zumindest im Kleinen bei uns zu sehen.“
Vogt will ihre Bibliothek mehr als „Wissenssalon“ verstanden wissen, als „Forum, wo Menschen sich austauschen können und Wissen miteinander teilen“. Dass dieser Transfer gerade bei der jüngeren Generation gut ankommt, beweist ein Blick in die Statistik der Kölner Einrichtung. Von den 2,3 Millionen Besuchern pro Jahr sind 70 Prozent jünger als 40 Jahre. Die stärkste Nutzergruppe unter den Erwachsenen liegt altersmäßig zwischen 20 und 30. Der Anteil der Über-60-Jährigen beträgt gerade einmal acht Prozent. Kinder und Jugendliche machen zusammen 35 Prozent der Nutzer aus. „Für viele sind wir der dritte Ort, also ein Raum zwischen Arbeit oder Schule und Zuhause“, führt die Direktorin weiter aus.
Auch kleinere Stadtbüchereien folgen diesem Trend und stellen ganz unterschiedliche Besucherbedürfnisse fest. So hat sich die Berliner Anton-Saefkow-Bibliothek als wichtiges Zentrum für Bildungs- und Integrationsarbeit einen Namen gemacht. Die Einrichtung liegt im Bezirk Lichtenberg, gewissermaßen dem Gegenpol zum touristischen Berlin. Der hohe Migrantenanteil unter den Bewohnern und die benachbarten Flüchtlingsheime prägen das Programm. „Wir veranstalten bei uns Integrationskurse und setzen dabei auch auf Digitalisierung“, erklärt Christiane Bernhardt, stellvertretende Bibliotheksdirektorin. Vom Online-Sprachkurs bis zum Streamingportal hat ihre Bibliothek einiges zu bieten. „Wir haben extra unser WLAN verstärkt, um Jugendlichen einen Ort zu bieten, an dem sie ihre Freizeit gern verbringen wollen. Viele treffen sich hier auch, um gemeinsam Hausaufgaben zu machen.“ Christiane Bernhardt beobachtet in ihrer Bibliothek allerdings einen Rückgang der Ausleihzahlen von Sachbüchern, dafür steigt die Nachfrage nach E-Books. Die Bibliothekarin sieht das pragmatisch: „Mit jedem Regal, das bei uns verschwindet, schaffen wir Platz für Leseplätze mit Tischen. Die Leute wollen sich heute länger bei uns aufhalten als früher, das gilt gerade auch für Jugendliche.“ Insgesamt können sich Bibliotheken in Deutschland über 220 Millionen Besuche pro Jahr freuen, das sind etwa zehn Millionen aktive Nutzer – und damit mehr als die Mitglieder aller deutschen Fußballvereine zusammen.
Digitale Förderung
Die rund 10.000 Bibliotheken in Deutschland sollen digitaler werden. Mit der Kampagne „Netzwerk Bibliothek“ engagiert sich der Deutsche Bibliotheksverband e.V. (dbv) zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, um den Austausch zwischen den Einrichtungen zu fördern und die digitalen Angebote stärker sichtbar zu machen. So soll das Image der Bibliotheken gestärkt werden. Seit 2017 unterstützt die Telekom-Stiftung die Auszeichnung „Bibliothek des Jahres“ des dbv. Hiermit würdigt der Verband nicht zuletzt auch digitale Angebote und Services. Der Preis, der im Oktober 2017 an die Universitätsbibliothek Leipzig vergeben wurde, ist mit 20.000 Euro dotiert. Mit einem Teil des Geldes soll die Bibliothek eine Veranstaltung zum Thema Digitalisierung umsetzen.
Der Artikel ist in Ausgabe 2-17 unseres Bildungsmagazins „sonar“ erschienen. Autor des Textes ist Klaus Rathje.
Autor: Klaus Rathje / Foto: Julia Unkel