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„Da gibt deutschlandweit Handlungsbedarf“

Schulforscher Wilfried Bos über Unterricht im digitalen Wandel.

Wilfried Bos ist Professor für Bildungsforschung und Qualitätssicherung an der Technischen Universität Dortmund. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die international vergleichende empirische Bildungsforschung und die Schulentwicklungsforschung. Bos war Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) in Dortmund. Er ist einer der Autoren der Studie „ICILS“ über die Computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich.


In einer Studie haben Sie 2014 herausgefunden, dass sich hierzulande 11,5 Schüler einen Computer teilen, während es in Norwegen 2,4 sind. Bildungsministerin Johanna Wanka hat jetzt ein Milliardenprogramm zum Ausbau der Schul-IT angekündigt. Wird jetzt alles gut?
So einfach ist das nicht. Natürlich muss man Geld in die Hand nehmen, aber das bringt nichts, wenn man einfach nur für schnelleres Internet sorgt und jede Schule 50 neue Computer hat. Die stehen unter Umständen in drei Jahren noch unausgepackt da. Das geht nur, wenn gleichzeitig in den Schulen und in den Bundesländern Konzepte erarbeitet werden und man sagt: Dafür brauchen wir diese und jene Hardware. Das hat Frau Wanka aber auch so vorgeschlagen.


Warum ist das reiche Deutschland so weit hinten dran?
Unsere Lehrer sind traditionell nicht so ausgebildet, das Curriculum mit modernen Informationstechniken zu bedienen. Das steht in den Fach-Curricula auch nicht drin. Das, was ein Englisch-, Mathematik- oder Deutschlehrer tun soll, schafft er auch ohne moderne Informationstechnologien. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Zustände bei uns so sind, wie sie sind.


Wie entstehen die Lehrpläne?
Über die Fachreferenten in den jeweiligen Landesinstituten für Schulentwicklung.


Und in den aktuellen steht nichts von Digitalisierung?
Mir ist das nicht bekannt. Da gibt es Handlungsbedarf – und zwar deutschlandweit.


Was bringt also all die neue Hardware – Breitbandanbindung, Laptops, Tablets – wenn die Software in den Köpfen der Lehrer nicht mitwächst?
Das nützt gar nichts. Die Fachgruppen in den Schulen müssten sich zusammensetzen und überlegen, in welchen Bereichen sie die modernen Technologien einsetzen, welche Ziele sie erreichen wollen und welche Hardware sie dafür benötigen.


Müsste man nicht erst mal einen Schritt zurückgehen und die neuen Methoden in die Lehrerausbildung integrieren?
Richtig, wir als Universitäten müssen uns an die eigene Nase packen. Die Hochschullehrer sind auch nicht besser als andere Lehrer. Ich komme mir manchmal vor wie der geschiedene Eheberater, der weiß, wie es geht, es aber auch nicht besser hinbekommt.


Wer heutzutage auf Lehramt studiert, lernt immer noch nicht, das Internet pädagogisch zu nutzen?
Richtig, dabei wäre das zwingend erforderlich, auch zur Individualisierung, die ja immer wichtiger wird bei der heterogenen Schülerschaft, die wir haben. Das geht mit Computer-Programmen doch wunderbar, beispielsweise mit adaptiven Mathematik-Programmen, durch die jeder Schüler nach seinem Leistungsstand unterschiedliche Aufgaben lösen muss, oder im Englischunterricht mit Vokabel-Lernprogrammen. Es sind auch gute Sachen in den Landesinitiativen der Bundesländer passiert. Bei uns in NRW gibt es den ganz guten Medienpass. Es liegen gute Sachen vor – das Problem ist nur, das auch ins Lehrerkollegium hineinzubekommen.


Wäre es fernab der pädagogischen Möglichkeiten nicht ebenso wichtig, die Schüler auf das „Leben im Netz“ vorzubereiten?
Ja, das ist zentral. Es gibt ja auch Stimmen, die sagen: Durch noch mehr EDV wird die Kompetenzentwicklung der Schüler nicht besser, die lernen im Netz nur Unsinn und machen nur „copy & paste“. Ich kann als grüner Mensch auch gegen individuellen Straßenverkehr sein, aber er ist da. Und wenn ich die Schüler darauf nicht vorbereite, werden sie totgefahren. Das gleiche gilt für moderne Informationstechnologien. Das Internet ist da. Und wenn ich den Schülern nicht zeige, wie man kritisch damit umgeht und wo die Gefahren und Vorteile liegen, dann gehen die nicht adäquat damit um. Und wer soll es ihnen beibringen, wenn nicht die Schule?


Bei Themen wie Spuren im Netz und Datensicherheit gibt es noch größeren Aufklärungsbedarf. Bräuchte es nicht gar ein eigenes Schulfach zum Thema Facebook, Twitter, WhatsApp und Snapchat?
Nein, da könnte man aber einen Grundkurs zu anbieten. Immer wenn eine neue Klasse fünf beginnt, macht man zwei Tage einen Workshop, in dem die Schüler die Basisqualitäten lernen. Aber sonst muss das in den Fächern passieren, das ist das Entscheidende: Jeweils in den Fächern muss der adäquate Umgang verankert sein.


Nun stellt sich die Frage, was es bringt, wenn ein 50 bis 60 Jahre alter Lehrer mit dem Zeigefinger vor sozialen Netzwerken warnt? Sind Erfahrungsberichte von Betroffenen nicht viel wichtiger?
Der erhobene Finger wirkt nie, das weiß ich noch aus meiner eigenen Jugend. Man kann Erfahrungsberichte in den Unterricht einbauen. Das gehört zu einem vernünftigen pädagogischen Umgang mit diesen Sachen.


Wie weit sind wir noch davon entfernt, dass Kinder und Jugendliche in der Schule auf das digitale Leben vorbereitet werden?
Größere Änderungen im Schulsystem, die dann auch Wirkung zeigen, dauern nach meiner Erfahrung nicht unter zehn Jahren.

Foto: Technische Universität Dortmund