
Billard + Bildung
Viele Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit haben sich mit ihren Bildungsangeboten zu wichtigen außerschulischen Lernorten entwickelt. Doch dafür müssen sich die Akteure gut vernetzen.
Ein Parkplatzmodell, frisch aus dem 3-D-Drucker, zeigt über Sensoren an, wo gerade Plätze frei sind. Eifrige Hände prüfen, ob alles funktioniert. Doch es sind nicht etwa städtische Verkehrsplanungsingenieure, die an diesem Modell arbeiten, sondern Kinder. Im Jugendmedienzentrum Connect im bayerischen Fürth haben die „Maker Kids“ letzten Sommer damit begonnen, ein Leitsystem für Parkplätze zu programmieren. Dort, zwischen Laptops, VR-Brillen und bunten Kissen, entwickeln technisch interessierte Kinder ein Mobilitätskonzept für ihre Stadt. Und die Begeisterung, mit der sie bei der Sache sind, kommt nicht von ungefähr.
In Deutschland gibt es rund 16.000 Einrichtungen, die dem Feld der offenen Kinder- und Jugendarbeit zuzuordnen sind, so das Deutsche Jugendinstitut (DJI). Und diese Treffpunkte für junge Menschen wandeln sich laut DJI immer mehr zu außerschulischen Bildungsorten. So haben viele in den vergangenen Jahren ihre Angebote erweitert. Auch deshalb, weil sie ein wichtiger Partner der Ganztagsschulen geworden sind. Zwischen Kicker und Couch gibt es Fotoprojekte, Theaterworkshops, Hausaufgabenhilfen, Computer- und Programmierkurse. „Der Reiz dieser Orte besteht darin, dass junge Menschen dort ihren Interessen frei nachgehen können. Sie können vieles selbst gestalten, nichts geschieht unter Zwang. Damit ist die Jugendarbeit ein wichtiger Lernort“, meint Professorin Karin Böllert, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendhilfe.

Arbeit sichtbar machen
Doch diese Lernorte, die durch ihre offenen Strukturen einen wichtigen Beitrag zur Chancengleichheit leisten, benötigen Fürsprecher und Kooperationspartner. Wird ihre Bildungsleistung doch fast gar nicht von der Öffentlichkeit wahrgenommen, wie letztes Jahr eine Befragung im Auftrag der Deutsche Telekom Stiftung verdeutlichte. Die Jugendarbeit erfährt kaum Wertschätzung in der Gesellschaft, sie hat keine Lobby und es mangelt an Investitionen der Politik, heißt es dort. „Wir müssen unsere Arbeit immer wieder sichtbar machen“, meint auch Florian Friedrich, Leiter des Jugendmedienzentrums Connect. In seiner Einrichtung haben zurzeit vor allem Projekte mit digitalen Medien regen Zulauf. „Das Digitale fasziniert junge Menschen, es ist Teil ihrer Lebenswelt“, weiß der Sozialpädagoge aus Fürth.
Laut dem 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung besucht etwa die Hälfte aller Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr regelmäßig eine offene Jugendeinrichtung. Aber diese Häuser, zumeist chronisch unterfinanziert, haben nicht immer die technische Ausstattung oder das Personal, um attraktive Bildungsangebote zu machen. Deshalb suchen viele nach Partnern, die sie unterstützen. „Obwohl wir städtisch finanziert sind, nutzen wir alle Kanäle, um Kooperationspartner zu finden und Mittel zu akquirieren“, sagt Florian Friedrich.
Die „Maker Kids“ etwa wurden von der Deutsche Telekom Stiftung im Rahmen ihrer „Ich kann was!“-Initiative gefördert. Zusätzlich vernetzt sich der Leiter der Fürther Einrichtung regelmäßig mit anderen städtischen Jugendzentren, kooperiert mit den Schulen im Stadtteil, sucht Fürsprecher für neue Projekte in der Lokalpolitik und macht diese wichtige Bildungsarbeit so oft es geht über die Medien sichtbar. Auch Professorin Karin Böllert stellt fest, dass die Jugendarbeit häufig „unter dem Radar der Öffentlichkeit“ geschieht. Deshalb sei es dringend an der Zeit, einen Dachverband zu gründen, der sich auf Bundesebene für die Bildungsarbeit dieser Einrichtungen einsetze.

Mit dem Vernetzen kennt sich auch Sozialarbeiter Sebastian Stute in Essen bestens aus. Er leitet im Stadtteil Vogelheim den Computainer, ein aus Schiffscontainern errichtetes bunt bemaltes Bürgerzentrum, das auch bei den jungen Bewohnern des Stadtteils sehr beliebt ist. Stiftungen und Unternehmen stellten das Projekt 2003 auf die Beine. „Hier bieten wir Bildung, Beratung und Begegnung“, sagt Stute. Computerkurse und Hausaufgabenhilfe stünden bei den jungen Menschen hoch im Kurs. „Gerade Kindern fehlt es in Vogelheim an Unterstützung, weil viele Eltern nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen.“ Einen Computer zu bedienen, sei für viele nicht selbstverständlich. „Dabei wird digitale Bildung immer wichtiger, sie ist das Fundament für die Arbeitswelt von morgen“, so der Sozialarbeiter. Mittlerweile hat die Stadt Essen als Träger die Finanzierung übernommen. In ihrem Auftrag kümmert sich Sozialarbeiter Sebastian Stute um den Computainer und um die Stadtteilarbeit. Auch er setzt auf Kooperationspartner. In den Sommerferien bot der Computainer Kindern an, einen Kurzfilm zu drehen. Eine Woche lang riefen sie begeistert: „Achtung, Kamera läuft“. Ein Hauch von Hollywood schwebte durch die Räume. Das offene Angebot wurde mit Mitteln aus dem Programm „Kulturrucksack NRW“ ermöglicht. Damit will die Landesregierung jedem Kind so früh wie möglich kulturelle Bildung zugänglich machen und so seine Persönlichkeitsentwicklung stärken. „Solche Projekte sind enorm wichtig. Hier gibt es viele Kinder, die zwar das Potenzial, aber eben nicht die Mittel haben“, sagt Sebastian Stute. In Vogelheim wohnen viele sozial benachteiligte Familien, die kaum Geld für Kulturerfahrungen aufbringen können.
Außerdem lädt der Leiter des Computainers regelmäßig zur Stadtteilkonferenz ein. Mehrmals im Jahr treffen sich dann zentrale Akteure des Viertels, darunter Vertreter der Schulen, Kitas, Vereine und anderer Jugendtreffs. Sie besprechen anstehende Aktivitäten, suchen nach Synergien. „Der eine hat den Raum, der andere kennt gutes Fachpersonal, der Dritte weiß über Projektmittel Bescheid“, sagt Sebastian Stute.
Großes Engagement hinter den Kulissen
An der Stadtteilkonferenz nimmt auch der Vogelheimer Jugendhof teil, ein Kinder- und Jugendtreff, der in katholischer Trägerschaft ist. In dem hellgelben Gebäude treffen sich junge Menschen, um sich nach der Schule in der Gemeinschaft zum Beispiel beim Kickern, Tischtennis oder an der Playstation zu vergnügen. Im offenen Werkraum können sie mit Holz arbeiten, basteln und erste Erfahrungen mit Werkzeug sammeln. Ein Musikraum bietet jungen Hobbymusikern die technische Ausstattung, um an eigenen Songs zu tüfteln. Für Kinder der Klassen eins bis sechs hat die Einrichtung außerdem eine Übermittagsbetreuung, wo die Schüler gemeinsam essen und Hausaufgaben machen.
Es ist also viel los im Jugendhof, doch dafür ist großes Engagement hinter den Kulissen nötig. Leiter Christian Roth sagt: „Klappern gehört zum Handwerk.“ Man müsse sich vernetzen und wissen, wie man an Finanzmittel für Projekte kommt. „Schließlich sind Jugendtreffs zwar immer noch Orte mit einem Billardtisch, aber zunehmend auch Orte der Bildung“, sagt er. Orte, an denen Kinder Spaß haben und ihre Potenziale entdecken. So wie in Essen und Fürth, wo schon Zehnjährige zu Filmregisseuren werden oder sich spielerisch mit Zukunftsthemen wie der Verkehrsplanung beschäftigen.
Dieser Artikel ist auch in der aktuellen Ausgabe unseres Bildungsmagazins „sonar“ erschienen, die diesmal das Thema Teamarbeit auslotet.
Autorin: Alexandra Trudslev / Fotos: Carsten Behler, Connect