
„Beim Homeschooling haben die Mädchen leicht die Nase vorn“
Zum Weltfrauentag: Drei Fragen an Ulrike Cress, Bildungsforscherin und stellvertretende Vorsitzende der Telekom-Stiftung.
Jedes Jahr am 8. März wird der Internationale Frauentag begangen. Wir haben aus diesem Anlass mit der Bildungsforscherin Ulrike Cress gesprochen, die auch Vorständin der Telekom-Stiftung ist.
Der diesjährige Weltfrauentag steht unter dem Motto „Women in leadership: Achieving an equal future in a COVID-19 world”. Gehen weibliche Führungskräfte aus Ihrer Sicht anders mit der Pandemie um als die männlichen Kollegen?
Ulrike Cress: Wenn ich die Erkenntnisse richtig deute, dann scheinen die Frauen insgesamt bislang eher die Verlierer der Krise zu sein. Die Doppelbelastung aus Beruf und Familie setzt ihnen stärker zu als den Männern. Eine Befragung der Telekom-Stiftung zeigt zum Beispiel, dass die Mütter viel mehr ins Homeschooling ihrer Kinder einbezogen sind als die Väter. Für mein Metier, die Wissenschaft, kann ich sagen, dass Frauen während Corona weniger publiziert haben als davor. Es steht zu befürchten, dass dies langfristig negative Folgen für ihre Karriere haben wird.
Ob Frauen während der Krise anders führen – dazu liegen bisher keine Erkenntnisse vor. Ich könnte mir aber vorstellen, dass weibliche Führungskräfte mehr Verständnis für die problematische Situation ihrer Mitarbeiterinnen haben. Denkt man das zu Ende, hieße es allerdings, dass von Frauen geführte Teams in Pandemiezeiten weniger leistungsfähig sind. Das wäre eine weitere Abwärtsspirale.
Der Weltfrauentag zielt unter anderem darauf, dass jegliche Form der Diskriminierung gegen Frauen endet. Haben Sie in Ihrer Karriere Diskriminierung erlebt?
Cress: Nicht unmittelbar. Allerdings mache ich mit zunehmendem Alter die Beobachtung – übrigens auch bei meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern –, dass Männer mehr Selbstbewusstsein haben und für sie eine Führungsrolle selbstverständlicher ist. Frau kompensieren das häufig durch Leistung.
Stichwort Bildung: Kommen die Mädchen mit dem Fern- oder Hybrid-Unterricht besser zurecht als Jungen? Und wie gerecht ist die digitale Bildung in der Pandemie?
Cress: Die Befragung der Telekom-Stiftung zum Homeschooling zeigt: Mädchen sind im Homeschooling nach Einschätzung ihrer Eltern selbstständiger, besser bei Konzentration, Durchhaltevermögen und Lernmotivation. Allerdings sind die Unterschiede gering. Auch andere Studien sehen die Mädchen im Vergleich leicht vorne: Laut dem Ifo-Institut verbringen sie täglich immerhin eine halbe Stunde mehr als Jungen mit dem Lernen für die Schule, dafür eine Stunde weniger mit Computerspielen, Handy oder Spielkonsolen.
In der Schule scheinen also eher Mädchen die Nase vorn zu haben. Das war auch zu erwarten: Sie haben die besseren Strategien, ihr Verhalten zu regulieren, sind beim Lesen besser und haben mehr Spaß daran. Lesen und Selbstregulation sind wichtige Voraussetzungen für viele Homeschooling-Aufgaben.
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Dr. Ulrike Cress ist Direktorin des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM) in Tübingen und Professorin an der Universität Tübingen im Fachbereich Psychologie. 2018 wurde sie in den Vorstand der Deutsche Telekom Stiftung berufen.