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Portrait Thomas de Maizière

„Aus dem Blickfeld geraten"

Thomas de Maizière über den schweren Stand der Kinder- und Jugendarbeit in Corona-Zeiten

„Ob im größten Jugendzentrum oder im kleinsten Jugendklub, ob in der Pfadfindergruppe, im Jugendchor oder auf dem Kinderbauernhof – die lebendige Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland ist seit über einem Jahr massiv ausgebremst. Dabei ist sie auch und gerade in diesen Krisenzeiten für viele junge Menschen so wichtig. Die Mitarbeitenden in den Einrichtungen leisten unter Pandemiebedingungen, was sie können, um den Kontakt mit ihnen aufrechtzuerhalten. Doch es fehlt an vielem, neben Personal und öffentlicher Unterstützung gerade auch an technischer Ausstattung und dem Wissen, was damit geht und erlaubt ist. Das ist schon lange so, drückt in der Krise aber noch einmal schmerzlicher. Zeit, dass sich etwas ändert!

Ein Leben jenseits von Schule und Familie

Mein Eindruck ist, dass Kinder und Jugendliche in der Corona-Pandemie fast nur als Schülerinnen und Schüler wahrgenommen werden. Andere zentrale Bedürfnisse sind dabei nahezu komplett aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Denn Qualifizierung ist nicht die einzige Herausforderung im Jugendalter. Und Schule nicht der einzige Ort, der dazu beiträgt. Es geht gleichermaßen darum, Selbstständigkeit zu erlangen und seine Position in der Gesellschaft zu finden. Dazu brauchen junge Menschen selbstgewählte Beziehungen und Unterstützung gerade auch außerhalb von Schule und Familie, Lern- und Erprobungsräume jenseits von Noten und Leistungsdruck. Die Kinder- und Jugendarbeit bietet all dies. Aber auch sie spielte im vergangenen Jahr in den Medien und politischen Äußerungen kaum eine Rolle. Meines Erachtens ein großer Fehler.

Jugendarbeit im Lockdown: besonders digital kreativ

Umso dankbarer bin ich für Studien wie aus Hamburg oder Rheinland-Pfalz. Sie belegen: Die Mitarbeitenden von Jugendclubs, Jugendhäusern und Co. waren auch im Lockdown engagiert im Einsatz. Kreativ und flexibel haben sie Wege erschlossen, um weiter verlässlich für „ihre“ Kinder und Jugendlichen da zu sein. Dazu gehörten für die meisten auch neue digitale Formate wie Video-Chats, Kreativ- und Mitmach-Angebote oder Aktionen über soziale Medien. So haben rund 80 Prozent der Befragten in Rheinland-Pfalz neue digitale Angebote durchgeführt; alle Fachkräfte waren trotz Kontaktsperre durchgängig für ihre Zielgruppe erreichbar – per Mail, Telefon oder Messenger-Dienst. Etwa die Hälfte der befragten Hamburger Einrichtungen gaben an, durch ihre Aktivitäten über 50 Prozent ihrer sonstigen Stammbesucherinnen und -besucher zu erreichen.

Diese tollen Ergebnisse sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen: Hinter alledem stehen viel Improvisationstalent und wahre Kraftakte. Denn häufig sind Mobiltelefone, Computer und Co. zur Nutzung durch die Mitarbeiter Mangelware, von weiterer technischer Ausstattung wie Kameras oder Mikrofonen ganz zu schweigen. Und der versierte Einsatz digitaler Möglichkeiten in der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen gehört keineswegs zum Standardrepertoire ausgebildeter Sozialpädagogen.

Überfällig: ein Digitalpakt für die Kinder- und Jugendhilfe

Wir als Telekom-Stiftung unterstützen deshalb den Vorstoß des Bundesjugendkuratoriums, einen Digitalpakt für die Kinder- und Jugendhilfe zu fordern. Denn egal ob Pandemie oder nicht: Junge Menschen bewegen sich heute ganz selbstverständlich in verschränkten digital-analogen Lern- und Lebensräumen. Sie hier nicht nur zu erreichen, sondern auch zu begleiten und pädagogisch fundiert zu unterstützen – auch das ist Teil der Kinder- und Jugendarbeit. Eine einheitliche Digitalisierungsstrategie sollte deshalb insbesondere auf eine zeitgemäße digitale Ausstattung sowie eine passende Aus-, Fort- und Weiterbildung abzielen. Das ist auch eine der Empfehlungen in unserem gerade aktualisierten Whitepaper 'Kinder und Jugendarbeit – Partner für Bildung'.“

 

Foto: Norbert Ittermann