Jump to main content
Die Wege der Ameisen durch ein Labyrinth werden mit einer Kamera verfolgt und aufgezeichnet.

Ameisen weisen den Weg in die digitale Welt

Wie sinnvoll sind Computerspiele in der Schule? Beim Games-Festival „Next Level“ testen Experten und User, was möglich ist.

Wie sinnvoll sind Computerspiele in der Schule? Beim Games-Festival „Next Level“ testen Experten und User, was möglich ist. Die Deutsche Telekom Stiftung startet zeitgleich eine Ausschreibung für Hochschulen, die gemeinsam Konzepte für guten Unterricht mit digitalen Medien in den MINT-Fächern entwickeln sollen.

Die Spiele haben begonnen. Eine Kolonie der Schwarzen Weg-Ameise, wissenschaftlicher Name: Lasius niger, wird bei ihrer Suche nach Futter in einem Labyrinth mit einer Kamera getrackt. Unter der Linse krabbeln die Tierchen durch den Parcours. Mal halten sie inne, mal folgen sie rasch der ausgewählten Route. Studierende des Kurses „Biogames – Spiele mit dem Lebendigen“ der Bauhaus-Universität Weimar inszenieren eine interaktive Begegnung mit diesem Ameisenstaat. Eine VR-Brille versetzt die menschlichen Spieler in den virtuellen Wege-Wirrwarr, dort begegnen sie den Ameisen auf Augenhöhe und kollaborieren mit ihnen, um gemeinsam Aufgaben zu lösen.

Die kleinen Insekten gehörten im November zu den großen Stars beim Games-Festival „Next Level 2017“ im Düsseldorfer NRW-Forum, bei dem sich alles um Computerspiele drehte. Rund 1.800 Menschen besuchten die dreitägige Veranstaltung, zu der das NRW-Kultursekretariat geladen hatte. Dabei ging es auch um die Frage: Haben Computerspiele den Weg in die Bildung gefunden? Immerhin wurden sie bereits 2008 zum Kulturgut erklärt. Und die JIM-Studie ergab 2015, dass 68 Prozent der 12- bis 19-Jährigen täglich oder mehrmals pro Woche Games nutzen. Dabei beträgt die Spieldauer der Jugendlichen an einem durchschnittlichen Wochentag 87 Minuten, am Wochenende sogar 114 Minuten.

„Keine Bildung ohne Games!“ lautet deshalb auch die Ansage von Daniel Heinz. Wenngleich die Realität häufig noch anders aussieht. Als Experte der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW, Co-Veranstalter von „Next Level 2017“, unterrichtet Heinz angehende Lehrkräfte im Rahmen ihrer schulpraktischen Ausbildung. „Trotz der Beliebtheit von Games, der festen Verankerung im Freizeitverhalten von Heranwachsenden sowie zahlreicher wohlgemeinter Absichtserklärungen der Bildungspolitik, den Unterricht lebensweltorientiert auszurichten, ist Bildung ohne Games vielerorts noch immer gang und gäbe“, weiß er. Mal scheitere es an der technischen Ausstattung der Schulen, meistens aber seien es die Lehrer selbst, für die digitale Spiele in der Klasse nichts zu suchen hätten. Das müsse sich ändern, meint Daniel Heinz, der sich für digitales Game-based-Learning einsetzt.

Wie guter Unterricht mit digitalen Medien aussehen könnte, will die Telekom-Stiftung bald mit ihrem neuen Projekt „Die Zukunft des MINT-Lernens“ herausfinden: Ab 2018 wird die Stiftung die fortschrittlichsten lehrerbildenden Hochschulen Deutschlands dabei unterstützen, im Stile einer Denkfabrik Konzepte für guten MINT-Unterricht mit digitalen Medien zu erarbeiten, zu erproben und in die MINT-Lehrerausbildung zu integrieren. Die Hochschulen werden dabei mit internationalen Experten aus der Mediendidaktik, der Lehr-Lern-Forschung und den MINT-Fachdidaktiken zusammenarbeiten. Die Ausschreibung für interessierte Hochschulen läuft, im Mai 2018 soll der Verbund seine Arbeit aufnehmen – voraussichtlich für drei Jahre.

Games und Bildung ist dabei nur eines von vielen denkbaren Feldern – ein fruchtbares, wie das Festival-Programm in Düsseldorf zeigt: Es gibt Workshops, in denen Schulklassen Roboter aus Motoren, Alltagsgegenständen und Technikschrott bauen. In einer anderen Ecke denken sich Teenager eine eigene interaktive Geschichte aus, erwecken sie am Tablet zum Leben und bewegen sich anschließend selbst von Level zu Level. Natürlich sind die kommerziellen, die sogenannten „off-the-shelf“-Games, ein Magnet für die jugendlichen Besucher. Daniel Heinz von der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW sieht darin kein Problem: „Minecraft, der totale Klassiker, ist vielseitig einsetzbar. Im MINT-Unterricht können zum Beispiel elektrische Schaltungen damit gebaut werden.“ Es geht aber auch anders. Er empfiehlt das extra für den Unterricht entwickelte Spiel „Serena Supergreen“. Serious Games wie dieses vermitteln gezielt Wissen und Kompetenzen.

„Serena“ soll Jugendliche für technische Ausbildungsberufe im Bereich der

Erneuerbaren Energien begeistern, die besonders Mädchen kaum in ihrer Berufswahl berücksichtigen. Entwickelt haben es der Wissenschaftsladen Bonn, die Technische Universität Dresden und das Gamestudio „The Good Evil“. Dank einer begleitenden Unterrichtseinheit können auch Lehrkräfte das Adventure-Spiel nutzen. Es erzählt eine lebensnahe Abenteuergeschichte, in der 12- bis 16-Jährige technische Aufgaben erfüllen müssen. Dazu gehört zum Beispiel, sich von einer Windkraftanlage abzuseilen, Schaltplänen zu entschlüsseln und technisches Gerät zu reparieren. Ergänzend zum Computerspiel können Unterrichtsmaterial und Informationen zur Berufsorientierung heruntergeladen werden – dies alles kostenlos.

Ein Schritt in eine Richtung, die auch die Kultusministerkonferenz (KMK) in ihrem 2016 veröffentlichten Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“ vorgibt. Darin erklärt die KMK: „[Die Digitalisierung] ist für den gesamten Bildungsbereich Chance und Herausforderung zugleich. Chance, weil sie dazu beitragen kann, formale Bildungsprozesse […] so zu verändern, dass Talente und Potenziale individuell gefördert werden; Herausforderung, weil sowohl die bisher praktizierten Lehr- und Lernformen sowie die Struktur von Lernumgebungen überdacht und neu gestaltet als auch die Bildungsziele kritisch überprüft und erweitert werden müssen.“ Womit man wieder bei der Schwarzen Weg-Ameise Lasius niger beim Games-Festival „Next Level“ wäre. Nur ein virtuelles Spiel, eine innovative Lernform oder ein zweifelhafter Tierversuch? Mit Sicherheit genügend Stoff für den Unterricht.

Foto: Robin Junicke